Seit Erreichen des Stimm- und Wahlrechtsalters nahm ich an jedem Urnengang in der Schweiz teil, wirklich jedem: Das sind bis heute 719 kantonalzürcherische und eidgenössische Abstimmungen – dazu kommen Plebiszite auf Gemeinde- und Wahlen auf allen Ebenen. Gesamthaft dürften es über tausend Papierzettel sein, die ich ausfüllte. Doch nur ein Mal spendete ich Papiergeld für einen Politiker – das war, als ein ehemaliger Arbeitskollege für ein Exekutivamt kandidierte.
Andere machen das offenbar häufiger: «Private finanzieren weitgehend die Politakteure und Kampagnen», schreiben Peter Buomberger (72) und Daniel Piazza (44) in ihrem kürzlich erschienenen Buch über Geldflüsse in der Schweizer Politik. «9 von 10 Franken, die in der Schweiz für die Politikfinanzierung eingesetzt werden, stammen im Wahljahr 2019 von Privaten.» Konkret sind das 90 bis 93 Millionen Franken, während vom Staat rund 8 Millionen Franken als Fraktionsbeitrag an die Parteien fliessen – unter zehn Prozent.
Der Wirtschaftswissenschaftler und frühere UBS-Chefökonom Buomberger legt zusammen mit Piazza, Sozialwissenschaftler und ehemaliger Finanzchef der CVP, eine Studie vor, welche die Schweizer Politikfinanzierung erstmals in ihrer Gesamtheit erfasst, darstellt und analysiert. Dafür präsentieren sie umfassend die politischen Finanzströme im Wahljahr 2019 und im Jahr 2020. Und sie vergleichen die Ergebnisse mit Zahlen aus anderen europäischen Demokratien.
«In den meisten europäischen Ländern ist der Anteil der staatlichen Finanzierung der Politik weit höher», schreiben Buomberger und Piazza, «am höchsten mit nahezu 80 Prozent in Österreich.» Einzig in Grossbritannien liege der Anteil der privaten Geldgeber in einer ähnlichen Grössenordnung wie in der Schweiz. Während die Transparenz politischer Geldströme bei hoher staatlicher Finanzierung gross sei, bleibe sie bei hoher privater Finanzierung wie in der Schweiz gering.
Die «Transparenz-Initiative», die ein überparteiliches Komitee 2017 in Bundesbern eingereicht hatte, wollte deshalb die privaten Spenden an Parteien und für Abstimmungs- und Wahlpropaganda durchleuchten. Transparenz schaffe Vertrauen in die Politik, so das Credo. Nachdem das eidgenössische Parlament am 18. Juni 2021 ein Gesetz beschlossen hatte, das die Offenlegung von Parteispenden ab 15'000 Franken und Zuwendungen an Abstimmungskomitees ab 50'000 Franken vorsieht, zogen die Initianten ihr Volksbegehren zurück.
Reiche bürgerliche Politiker, die Parteien sponsern, grosse Firmen, die Abstimmungen beeinflussen – diese Vermutung stand hinter der «Transparenz-Initiative». Doch die Studie von Buomberger und Piazza zeigt ein anderes Bild, vor allem bei Geldern für Abstimmungen: «Die Beiträge links-grüner NGOs (Anm. d. Red: Nichtregierungsorganisationen) betrugen in den Jahren 2019 und 2020 jährlich rund 19 bis 20 Millionen Franken und überstiegen damit die Beiträge der bürgerlichen NGOs um knapp einen Drittel», so Buomberger und Piazza.
Peter Buomberger/Daniel Piazza, «Wer finanziert die Schweizer Politik? Auf dem Weg zu mehr Transparenz und Demokratie», NZZ Libro