Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Von der britischen Working Class zum Order of the British Empire

Wie verwirklicht man seine Träume? Nicht, indem man darüber redet, sondern indem man sie gegen alle Widerstände verwirklicht – wie die britische Schriftstellerin Bernardine Evaristo in ihrer Autobiografie beschreibt.
Publiziert: 15.02.2022 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 13.02.2022 um 20:24 Uhr
Gewann 2019 als erste Dunkelhäutige den renommierten Booker Prize: Die britische Autorin Bernardine Evaristo.
Foto: Getty Images
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Ich bin Schweizer, ja – meine Mutter war Luzernerin, der Vater Krienser. Aber gehe ich nur eine Stufe weiter zurück, so bin ich schon mehr, denn meine Grossmutter väterlicherseits war Österreicherin, kam aus Feldkirch. Berücksichtige ich zusätzliche acht Stammbaumverzweigungen, so bin ich mit jedem von Ihnen verwandt – denn ein Ahnenmodell besagt, dass über die letzten zehn Generationen alle Menschen miteinander verwandt sind. Ich bin also primär Knabe, Mann usw.

«Mädchen, Frau etc.» heisst der Roman, mit dem die britische Autorin Bernardine Evaristo (62) vor einem Jahr in der Schweizer Bestsellerliste landete. Mit dem englischsprachigen Original hatte sie zuvor schon einen Grosserfolg in Grossbritannien, weil sie dafür 2019 den renommierten Booker Prize erhielt – als erste schwarze Autorin! «Nigeria: 38 Prozent, Togo: 12 Prozent, England: 25 Prozent, Schottland: 14, Irland: 7 Prozent, Norwegen: 4 Prozent»: So beschreibt Evaristo ihre DNA-geprüften Wurzeln in der eben auf Deutsch erschienenen Autobiografie.

«Ich bin 1959 in Eltham geboren und in Woolwich aufgewachsen, beides Bezirke im Süden Londons», schreibt Evaristo. Und weiter: «Als nicht-weisser Person weiblichen Geschlechts aus der britischen Working Class standen die Grenzen, die mir gesetzt werden würden, bereits fest, bevor ich nur den Mund aufsperren konnte.» Als viertes von acht Kindern einer englischen Lehrerin und eines nigerianischen Schweissers lernt sie schnell, den Mund aufzumachen – gegen das Patriarchat in der Familie, Rassismus im Quartier und Sexismus im Land.

Evaristo stylte sich als «androgyne Kampflesbe», wurde Feministin und bezeichnete sich früh schon stolz als «schwarze Autorin»: Die ausgebildete Schauspielerin hat sieben Theaterstücke sowie elf Romane, Gedichtbände und Sachbücher geschrieben. Heute ist sie Trägerin des Order of the British Empire, stellvertretende Vorsitzende der Royal Society of Literature, hat einen Doktortitel und ist Professorin für Kreatives Schreiben an der Brunel University London – diese Frau hat es zu etwas gebracht. Und darüber schreibt sie wunderschön und wahnsinnig witzig.

«Manifesto» ist keine langweilige Biografie, sondern – wie es der Titel schon ankündigt – eine öffentliche Erklärung mit politischer Absicht. «Warum ich niemals aufgebe», heisst das Buch im Untertitel und will auch die Leserschaft dazu bringen, für eigene Ziele zu kämpfen: «In jeder und jedem von uns steckt ein Manifest, das im Laufe des Lebens zutage tritt», schreibt Evaristo. Kein Nein so einfach hinzunehmen, diese Haltung versuche sie auch den jungen Menschen mitzugeben, die sie unterrichte.

«Muss ich noch hinzufügen, dass es absolut entscheidend ist, die eigenen Träume für sich zu behalten?», fragt Evaristo. Sobald man sich nämlich auf «visionäres» Terrain begebe, komme der eine oder die andere und wolle einem Grenzen aufzeigen. Grimmig entschlossen schliesst sie: «Vor den Miesmachern müssen wir uns schützen.»

Bernardine Evaristo, «Manifesto – warum ich niemals aufgebe», Tropen

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