Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Wer mit fremden Menschen spricht, ist glücklicher

«People are strange when you’re a stranger» – die Leute sind befremdend, wenn du ein Fremder bist – singen The Doors. Doch wenn man mit den Leuten spricht, entpuppen sie sich als freundlich und können sogar zu Freunden werden.
Publiziert: 25.01.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 22.01.2022 um 15:51 Uhr
Nur Hallo und Tschüss oder ein kleiner Schwatz? Gespräche mit Baristas machen glücklich, zeigen Studien.
Foto: Getty Images
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Wir stehen an einer Kreuzung in Boston, haben einen Stadtplan, aber keinen Plan, welche Strasse wir nehmen sollen. «May I help you?», fragt uns eine Stimme; wir blicken auf und schauen in das Gesicht eines freundlich lächelnden Amerikaners. Hilfsbereit weist er uns den Weg zu unserem nächsten Ziel. Das ist nun über zehn Jahre her, aber wir erzählen uns immer noch davon – noch immer erstaunt, wie unbefangen die Menschen in den USA auf Fremde zugehen.

Menschen wie der US-Journalist Joe Keohane, der für das «Boston Magazine», «Esquire» oder «The New Yorker» schreibt. Und der eben ein Buch mit dem Titel «Strangers» veröffentlicht hat, worin er mit vielen Studien und Storys lehrreich und eloquent nachweist, warum die Welt eine bessere sein wird, wenn wir unsere Angst vor dem Fremden überwinden. «Warum sprechen wir in der Regel nicht mit fremden Menschen?», fragt sich Keohane am Anfang. «Wann sprechen wir mit ihnen? Und was passiert dann?»

Es macht uns glücklich, um den letzten Punkt vorwegzunehmen. Als Beleg zitiert Keohane eine Feldforschung der kanadischen Psychologin Gillian Sandstrom und der kanadischen Glücksforscherin Elizabeth Dunn von der University of British Columbia. Sie stellten 60 Freiwillige an – Männer, Frauen, alle Altersgruppen. Die Hälfte sollte beim Kaffeekauf an einem Strassenstand mit der Verkäuferin kommunizieren, die andere Hälfte nicht. Resultat: Die Redseligen waren insgesamt zufriedener mit dem Kauf. Dieser Befund ist durch zahlreiche internationale Untersuchungen gestützt.

Aber wieso sprechen wir dann nicht mit Fremden, stehen stattdessen mürrisch an der Kasse und schauen zu, wie der Kaffee reintröpfelt? Keohane macht zunächst das schlechte Image des Fremden aus und verweist auf den Hitchcock-Film «Strangers on a Train» (1951) oder den Camus-Roman «L’Étranger» (1942). Doch die Wurzeln gehen tiefer.
«Die Furcht, dass Fremde Chaos und Verrat säen und Krankheit und Verderben bringen, begleitet uns, seit es Fremde gibt», so Keohane.

Allerdings: Selbst wenn der Fremde sympathisch ist, ergibt sich nicht automatisch ein Gespräch – denn die meisten Menschen haben Angst, dass man sie bei einer Ansprache zurückweist. Eine Furcht, die unbegründet ist, wie Tests zeigten. «Die Sache war einfacher als angenommen», schreibt Keohane, «die Fremden hatten sehr wohl ein Interesse daran, sich mit ihnen zu unterhalten, und kein Einziger blitzte ab.» Die Unterhaltung dient also auch dem Wohl der Angesprochenen.

Natürlich kommt es auf den Ton an: Eine billige Anmache dient selten einer längerfristigen Kommunikation. Und Keohane erinnert an den Fall des evangelikalen Missionars John Allen Chau: 2018 wollte der Amerikaner die Inselbewohner auf North Sentinel im Indischen Ozean zu Jesus bekehren und war enttäuscht, dass sie bloss Pfeile auf sein Boot warfen. Bei einem zweiten Annäherungsversuch töteten sie Chau.

Joe Keohane, «Strangers – Warum die Welt eine bessere sein wird, wenn wir unsere Angst vor dem Fremden überwinden», Goldmann

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