Jetzt stürmen wieder viele Unterländer die Burg in den Bündner Bergen – vor allem Zürcherinnen und Zürcher logieren während der Skiferien gerne im Hotel Castell zu Zuoz. Und noch lieber schleichen sie dort in den Gängen rum, wenn sie von den Schneepisten zurückkommen. Denn auf jeder Etage gibt es vor den karg eingerichteten Zimmern meist mehr zu sehen als darin: hoch gehandelte Kunst auf 1800 Meter über Meer von Roman Signer (83) über Fischli/Weiss bis Pipilotti Rist (59).
«Julian Charrière zählt zu den Neuerwerbungen des Hausherrn Ruedi Bechtler», schreibt die deutsche Journalistin Ute Watzl in ihrem kürzlich veröffentlichten Bildband über moderne Kunst in den Alpen und zeigt eine Fotoarbeit des Westschweizer Shootingstars Charrière (34), die nun bei einem Flurfenster im Castell hängt. Neben Zuoz porträtiert Watzl 19 weitere alpine Ausstellungsorte in der Schweiz, in Italien, Deutschland und Österreich – Kunst mal drinnen im Museum, mal draussen in freier Natur.
«Obwohl einige Kunstorte in den Alpen schon auf eine längere Geschichte zurückblicken können», so Watzl, «konnte man in den vergangenen zehn Jahren dennoch das Gefühl bekommen, dass die Zahl der Kunsterlebnisse mit Bergblick zunimmt.» Keine einfachen Unterfangen, denn die urban geprägten Kunstschaffenden seien immer wieder auf Gegenwind und Misstrauen gestossen, wenn sie abgelegene Täler als Leinwand oder Experimentierfeld für ihre Projekte genutzt haben.
Zum Beispiel das «Atelier für Sonderaufgaben», das die Ostschweizer Zwillingsbrüder Patrik und Frank Riklin (48) betreiben. Die beiden Konzeptkünstler holen keine Kunst ins Hotel, sondern eröffnen 2016 ein Null-Stern-Hotel im Bündner Safiental, indem sie ein Doppelbett unter freiem Himmel zur beschlafbaren Kunstinstallation erklären. Prompt heisst es darauf im «Bündner Tagblatt»: «Safiental will kein ‹Null Stern Hotel› mehr sein.» Andererseits ist das Bett bereits damals bis 2020 ausgebucht.
Auf grosses Interesse stösst mittlerweile auch der Unterengadiner Künstler Not Vital (74), der am Dorfrand seines Geburtsorts Sent ein grosses Freiluftmuseum erstellt hat: der Parkin Not dal Mot. «Eselsbrücken zum Beispiel kann man hier sehen – und zwar im Wortsinne», schreibt Watzl, «auf Stelzen aneinandergereihte Eselsköpfe aus Edelstahl laden Besucherinnen und Besucher ein, sie zu überschreiten.» Ohne Sinn für Humor sei Not Vitals Kunst nicht zu verstehen.
Kunst sehen und begehen sind die beiden Leidenschaften von Ute Watzl, die sie für dieses schöne Buchprojekt elegant verknüpft. So hat es für jeden der 20 «Berge von Kunst» einen Wegbeschrieb, wie man zum jeweiligen Kunstgipfel wandern kann. Und mit einem QR-Code lassen sich die Routen einfach aufs Handy laden – für ein erhebendes Kunsterlebnis von Kopf bis Fuss. Denn so Watzl: «Wer sie findet, die Kunstwerke, verborgen in der Provinz und abseits der hippen Kulturmetropolen und finanzstarken Kunstmarktzentren, mag zunächst verblüfft sein.»
Ute Watzl, «Berge von Kunst – 20 überraschende Orte internationaler Kunst in den Alpen», AS