Farben, Buchstaben, Zahlen: Erst in gekonnter Anordnung ergeben sie ein schönes Bild, einen verständlichen Text, eine schlüssige Rechnung. Die grosse Kunst ist, alles zu vermengen und anschauliche Grafiken zu gestalten. Kürzlich war ich an einem Kurs, an dem ich lernte, mittels eines Programms der Berliner Firma Datawrapper aus nüchternem Zahlenmaterial flugs Balken-, Säulen- oder Tortendiagramme zu erstellen – neben Blick nutzen etwa der «Spiegel» und die «New York Times» diese geniale Dienstleistung.
«Um verstehen zu können, was in unserer Welt wirklich vor sich geht, müssen wir im nächsten Schritt die Zahlen in den jeweils zugehörigen historischen und internationalen Kontext einbetten», schreibt der renommierte tschechisch-kanadische Naturwissenschaftler Vaclav Smil (80) in seinem eben auf Deutsch erschienenen Buch. Darin erzählt er zu Menschen, Ländern und Umwelt über 70 kurze Geschichten, in denen er jeweils verlässliche Zahlen zu einem Aspekt analysiert und verständlich macht.
«Wie viele Menschen erforderte der Bau der grossen Pyramiden?»; «Wie weit kann es China bringen?»; «Was ist schlimmer für die Umwelt – Ihr Auto oder Ihr Handy?»: So lauten die Titel von drei völlig unterschiedlichen Kapiteln, in denen uns der emeritierte Professor für Umweltwissenschaften an der University of Manitoba im kanadischen Winnipeg auf eine spannende Reise durch Zeit und Raum mitnimmt und alle messbaren Werte wie Gewicht, Zeit oder Entfernung gegeneinander aufwiegt.
Manche Fragen sind weniger gut quantifizierbar, wie zum Beispiel die Frage «Was macht Menschen glücklich?». Und trotzdem gibt es seit 2012 jährlich einen «World Happiness Report», über den die Medien jeweils «mit einem Anflug von Bewunderung für die dauerglücklichen Skandinavier» (Smil) berichten. Die Schweiz rangiert stets in den Top 10. Doch Smil weist aufs Fehlen einer Vergleichsgrösse hin, denn «einige der vermeintlich glücklichsten Länder weisen eine relativ hohe Selbstmordrate auf».
Und er fragt sich, weshalb Mexiko vor Frankreich und Argentinien vor Japan platziert sei. Smil erkennt ein Muster: «Das zweitgenannte Land ist jeweils wohlhabender», und bei den erstgenannten handle es sich «um ehemalige spanische Kolonien und daher um Länder mit überwiegend katholischer Bevölkerung». Sein Fazit: Wenn man es nicht unter die obersten zehn schaffe, solle man zum Katholizismus konvertieren und Spanisch lernen.
Smil beschäftigt sich auch mit dem explosionsartigen Datenwachstum: Um 1500 gab es 11’000 Bücher, 2018 wurden allein in den USA 4,5 Millionen Videos auf Youtube angeschaut, 18 Millionen Wetterdaten abgefragt und drei Billiarden Bytes aus dem Internet geholt – pro Minute! «Wenn es erst einmal so weit ist, dass für jeden Menschen auf der Erde mehr als 50 Billionen Bytes an Informationen pro Jahr generiert werden», so Smil, «wird dann noch irgendeine reelle Chance bestehen, sinnvollen Gebrauch von diesen Daten zu machen?»
«Zahlen lügen nicht – 71 Geschichten, um die Welt besser zu verstehen», C. H. Beck.
«Zahlen lügen nicht – 71 Geschichten, um die Welt besser zu verstehen», C. H. Beck.