Am 1. April sind es genau hundert Jahre her, dass der Inbegriff der Schönheit ins Bewusstsein der Öffentlichkeit tritt. 1924 zeigt das Berliner Neue Museum während der Ausstellung über die Ausgrabungen im ägyptischen Amarna einen gut halben Meter grossen Kalkstein mit bemaltem Stuck, Wachs und einem Bergkristall: die Büste der Nofretete. Obwohl nur ein Auge mit einem Edelstein geschmückt ist, bezaubert die Gattin von Pharao Echnaton aus dem 14. Jahrhundert vor Christus durch ihre Ebenmässigkeit.
«Nofretete galt als ‹Modekönigin›», schreibt der deutsche Historiker Sebastian Conrad (57) in seinem eben erschienenen Buch über die globale Karriere dieser Büste. «Das Tragen von Ohrringen beispielsweise wurde auf die Ägypter zurückgeführt.» Die moderne Frau der Goldenen Zwanziger trug solchen Schmuck im Bewusstsein, einer Mode zu folgen, die fast so alt sei wie die Geschichte selbst. Conrad: «Heute gibt es noch unzählige Kosmetikartikel, für die mit dem Namen Nofretete geworben wird.»
Dabei hat man ihr Gesicht nach der Entdeckung mit Dreck verschmiert: «Am 6. Dezember 1912 begann al-Sanusi damit, den Schutt zu durchsuchen, der Raum 19 der Ruinen der Stadt Amarna bedeckte», schreibt Conrad. Der ägyptische Arbeiter wird fündig und übergibt die Büste dem deutschen Grabungsleiter Ludwig Borchardt (1863–1938). Um dem Fund die Bedeutung zu nehmen und ihn am französischen Antikendienst vorbei nach Berlin ausführen zu können, beschmutzt Borchardt die Nofretete.
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Aus Angst vor Ansprüchen seitens Ägypten bleibt die Büste fast zwölf Jahre im Verborgenen. Und keine zehn Jahre nach der ersten Ausstellung ist Berlin kurz davor, sie freiwillig zurückzugeben: Da das orientalisch anmutende Frauengesicht nicht dem blonden Schönheitsideal der Nazis entsprach, die 1933 in Deutschland an die Macht gekommen waren, wollte man Nofretete dem ägyptischen König übergeben. Doch Adolf Hitler (1889–1945) verhinderte die Auslieferung. Seither ist sie ein Zankapfel zwischen den Ländern.
Auf der Berliner Museumsinsel ist sie ein Besuchermagnet. «Die Ausstellung ‹Im Licht von Amarna›, die 2012 im Jubiläumsjahr des Funds der Büste gezeigt wurde, bescherte dem Museum 600'000 Besucherinnen und Besucher innerhalb von acht Monaten», schreibt der Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin in seinem Buch. Die globale Resonanz führt Conrad auf die «Medienrevolution des 20. Jahrhunderts» zurück: Durch Fotos in Zeitungen und Zeitschriften kennt praktisch die ganze Menschheit das Konterfei.
«Die grösste Resonanz fand Nofretete auf dem afrikanischen Kontinent und, vor allem, in der afrikanischen Diaspora», schreibt Conrad. So liess sich die barbadische Sängerin Rihanna (36) 2017 als Nofretete für «Vogue Arabia» ablichten. Und US-Kollegin Beyoncé (42) trat 2018 bei einem Musikfestival in Kalifornien als «Wiedergängerin von Nofretete» (Conrad) auf. «Wie kaum ein anderes Werk der Kunstgeschichte ist Nofretete zu einem Logo geworden, das weltweit lesbar ist», so der Professor.
«Die Königin – Nofretetes globale Karriere», Propyläen
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