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Wann wir Regeln befolgen und wann wir sie brechen

Vom Tagesrhythmus über das Fahren im Strassenverkehr bis zum Kochen nach Rezept: Unser Leben ist strukturiert von Regeln. Und am liebsten befolgen wir sie, je weniger sie als Drohung daherkommen.
Publiziert: 09.01.2024 um 06:43 Uhr
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Aktualisiert: 11.01.2024 um 09:46 Uhr
Er schaut, dass die Regeln eingehalten werden: der Fussballschiedsrichter.
Foto: imago/Jan Huebner
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Neues Jahr, neues Gesetz – seit gut einer Woche gelten in der Schweiz neue Bestimmungen: Das AHV-Alter ist für Frauen gestiegen und damit wie bei Männern 65 Jahre; zur Finanzierung der ersten Säule in der Altersvorsorge gelten bei der Mehrwertsteuer mit 8,1 statt 7,7 Prozent leicht höhere Zinssätze; gesunken sind dafür durch die Übernahme von EU-Recht die Höchstwerte von kritischen Inhaltsstoffen in Tattoo-Farben; und mit neuen Regeln für Detailhändler will der Bund Food Waste bekämpfen.

«Wir alle sind ständig und überall eingebunden in ein Netz aus Regeln, das uns Hilfestellung bietet und Beschränkungen aufbürdet», schreibt die US-amerikanische Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston (72) in ihrem kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch. Die frühere Direktorin des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin zeichnet darin «eine kurze Geschichte» der Regeln nach und zeigt auf, seit wann, wo und wie sie die Menschheit begleiten und bestimmen.

Gesetze, Rezepte, Prinzipien, Instruktionen, Leitlinien, Vorschriften, Normen, Maximen, Aphorismen und Algorithmen: «Die Formen gehören zur langen Liste der Arten, aus denen die Gattung der Regeln besteht», schreibt Daston. Die Vielfalt bringe uns auf die Spur einer verborgenen Geschichte dessen, was eine Regel sei und tue. «Während Gesetze das würdigste und erhabenste Gesicht der Regeln zeigen», so Daston weiter, «sind Vorschriften gleichsam Regeln mit hochgekrempelten Ärmeln.»

In der langen Geschichte der Regeln macht die frühere Professorin drei Gegensatzpaare aus: Sie können füllig oder schlank in der Formulierung, flexibel oder starr in der Anwendung und allgemein oder spezifisch hinsichtlich ihres Geltungsbereichs sein. «Keine Regel auf Papier war jemals so füllig, dass sie allein eine Kunst hätte lehren können», schreibt sie hinsichtlich der Anleitungsbücher für Handwerker im 16. und 17. Jahrhundert. «Sie konnte Erfahrung organisieren und nachahmen, aber nicht ersetzen.»

Damit ist gesagt, was Regeln ausmachen: Menschen, die sie umsetzen können und wollen. Daston nennt zwei unterschiedliche Beispiele aus Paris und Amsterdam im 17. und 18. Jahrhundert: In der französischen Hauptstadt wollten die Polizeibehörden das Leeren von Nachttöpfen auf die Gasse verbieten und Kutschen nur von über 17-Jährigen fahren lassen; in den Niederlanden verbannten die Behörden Kutschen vollständig aus der Stadt und verlangten von den Einwohnern den Einbau von Abwasserrohren aus Blei.

«Die städtischen Behörden in Amsterdam setzten weitaus drastischere Massnahmen durch, als der allmächtige Lieutenant de police in Paris oder absolutistische Monarchen überhaupt in Erwägung zu ziehen wagten», schreibt Daston. Sie schliesst daraus: Die effektivste Befolgung von Vorschriften tritt dann ein, wenn die Regeln eine Stadtregierung formuliert, die zugleich republikanisch und autoritär war – die Akzeptanz war dann in der Bevölkerung offensichtlich grösser.

zVg
Lorraine Daston

«Regeln – eine kurze Geschichte», Suhrkamp.

zVg

«Regeln – eine kurze Geschichte», Suhrkamp.

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