Vier Tage Gefängnis muss der Redaktor des «Emmentaler Wochenblatts» absitzen. Sein Vergehen: Christian Wiedmer (1808–1857), so sein Name, veröffentlicht am 22. November 1850 ein satirisches Gedicht, in dem er die Wahl des konservativen Metzgermeisters Sigmund Karl Stooss (1808–1870) zum Berner Regierungsrat verhöhnt, unter anderem mit folgenden Versen: «Nur die allergrössten Kälber / wählen ihren Metzger selber.» Bereits 1874 ist der Ausspruch in Wien nachgewiesen, 1876 in Berlin.
Das ist die Geschichte, die hinter dem Titel der neuen Publikation des Schweizer Sprachforschers Christian Schmid (74) steht. Der Dialektologe und langjährige Redaktor der Mundartsendung «Schnabelweid» auf Radio SRF 1 verfolgt fürs Buch akribisch und anekdotenreich tierische Spuren in unserer Sprache. Darin zeige sich sehr deutlich, so Schmid: «Wir sind unseren Tieren sowohl zu- als auch abgeneigt.» Es gebe rührselige Fabeln, aber viel gängiger sei in der Alltagssprache das Spotten, Schimpfen und Beleidigen mit Tieren.
Hornochse, Huhn und Hund: Das sind nur drei Tiere, die – meist mit einem schmälernden Adjektiv wie «dumm» erweitert – häufig zu hören sind bei Streitereien. Hund ist gar die häufigste Beleidigung weltweit. Interessanterweise eignen sich andere Tiere wie etwa Giraffe, Adler oder Eisbär kaum für Schimpftiraden. Schmid zeigt auf: Es sind die uns nächsten, domestizierten Tiere, mit denen wir also das Haus teilen, die wir sprachlich herabwürdigen. Folgerichtig widmet er sich in den sechs Kapiteln den Haustieren.
«Wir Schweizer werden seit langer Zeit mit Kühen in Zusammenhang gebracht», schreibt Schmid, «deshalb scheint ein Hornvieh-Schimpfwort eher eine Bagatelle zu sein.» Dennoch verhängt 2014 ein Einzelrichter in einem Innerschweizer Nachbarschaftsstreit für die Aussage «blöde Kuh» eine Busse von hundert Franken. Er fügt allerdings an: «Blöde Kuh ist nicht so ein massives Schimpfwort, da gibt es schlimmere.» Welche, darüber hüllt sich der Rechtsgelehrte in Schweigen.
Klar ist: Auch bei unseren Haustieren gibt es Abstufungen. So schreibt Schmid: «Katze ist kein Schimpfwort.» Heute sei das vielmehr ein Kosename und habe eine erotische Konnotation. Als Beleg zitiert er ein Kontaktinserat von 1995, in dem ein «neugieriger Kater» eine «anschmiegsame Katze zum Schmusen» sucht. Das sei aber nicht immer so gewesen: «Im 19. Jahrhundert bezeichnete Katze vor allem eine zänkische Frau, die kratzt und beisst», so Schmid.
Ändert sich also mit einer positiven Einstellung zum Tier seine Bedeutung in der Sprache? Schmid stellt zwar fest, dass seit knapp fünfzig Jahren Tierrechte ein grösseres Thema sind und Menschen auf andere Lebewesen nicht mehr nur verächtlich runterblicken. Aber: «All das beeinflusst unser Sprechen über Tiere, insbesondere die Stellung des Tiers in unseren alltäglichen Sprachgebräuchen, bis heute kaum.» Man frage sich in den wenigsten Fällen, weshalb man sage, was man sage. Dieses Buch gibt dennoch wertvolle Antworten.
Christian Schmid, «Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber – unsere Tiere in der Sprache», Cosmos