Zoologisch – Direktor Severin Dressen erklärt
Tiger in der Klemme

Severin Dressen (32) ist Direktor des Zoos Zürich und kennt die wilden Geheimnisse seiner Bewohner.
Publiziert: 19.12.2021 um 14:58 Uhr
In Tigerfarmen werden Raubtiere für den chinesischen Markt gezüchtet.
Foto: Zvg
Severin Dressen

Rheuma, Arthritis, Kopf- und Zahnschmerzen, Gelenkschmerzen, Albträume, Fieber und Schlappheit: Von all diesen Gebrechen (und noch vielen mehr) soll man geheilt werden, wenn man Körperteile von Tigern zu sich nimmt – so lehrt es zumindest die traditionelle chinesische Medizin. Knochenstücke und Schnurrbarthaare gelten als schützende Glücksbringer. Und das Essen von Tigerpenissen soll – wen wunderts – gegen Potenzbeschwerden helfen und ausserdem ein effektiver Liebestrunk sein.

Vor hundert Jahren – schätzt man – gab es rund 100’000 Tiger in der Natur. Heute leben noch etwa 4000 Tiger in Asien, die meisten davon in Indien. Die traditionelle chinesische Medizin, Umweltzerstörung und auch die Jagd haben dazu beigetragen, dass der Tiger heute an vielen Orten seines ursprünglichen Lebensgebiets ausgerottet ist. Währenddessen wächst und wächst der Bedarf an Tiger-Körperteilen für den riesigen chinesischen Markt ungebremst weiter.

Die Antwort auf diese enorme Nachfrage sind illegale Tigerfarmen in Südostasien. Hunderte Tiger werden dort unter katastrophalen Bedingungen «produziert», als lebendes Zutatenlager für pseudomedizinische Rezepte. Die mafiösen Strukturen dahinter und den grenzüberschreitenden illegalen Handel mit Tiger-Körperteilen haben jüngst die zwei Schweizer Laurin Merz und Karl Ammann in ihrem Film «The Tiger Mafia» eindrücklich dokumentiert.

Die verbleibenden wilden Tigerpopulationen stehen unter enormen Druck. Quasi als Notreserve, falls Tiger in der Natur komplett aussterben, bauen Zoos Reservepopulationen auf. Vor allem aber gilt es dringendst, die letzten wild lebenden Tiger in ihrem ursprünglichen Lebensraum zu schützen.

Genau darauf zielt eines unserer Schlüsselprojekte im Naturschutz ab: die Tigerpopulation im thailändischen Western Forest Complex zu schützen. Der Western Forest Complex ist eines der grössten verbleibenden Waldgebiete Südostasiens. Seit 2014 unterstützen wir dort die thailändische Nationalparkbehörde gegen die Wilderei, zusammen mit anderen internationalen Partnern. Ein grosser Meilenstein war die Renovation des «Regional Tiger Conservation Training Centre», wo mittlerweile Hunderte von Rangern ausgebildet und trainiert worden sind.

Mit Kamerafallen kann man den Tigerbestand im Western Forest Complex gut überwachen. Denn jeder Tiger lässt sich an seinem Fell einzeln erkennen. Die Überwachung zeigt: Seit 2011 hat sich die Tigerzahl in diesem Gebiet von 42 auf 79 fast verdoppelt. Und die Fälle von Wilderei sind massiv gesunken. 2020 konnten die Wilderer sogar keinen einzigen Tiger erbeuten!

79 mag nach wenig klingen. Aber der Western Forest Complex ist damit Heimat für fast zehn Prozent aller Tiger, die ausserhalb der «Tigerhochburg» Indien leben.

Diese Erfolge sind nur möglich dank des grossen Einsatzes der Ranger vor Ort, die unermüdlich gegen die Wilderei ankämpfen. Dank ihnen sieht es zumindest im Moment so aus, dass mit massiven Schutzmassnahmen doch noch einige Tigerpopulationen vor der Ausrottung bewahrt werden können.

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