Zoodirektor Severin Dressen
Auswildern – mehr als nur in die Natur entlassen

Von Habichtskäuzen in Österreich bis zu Orang-Utans auf Sumatra: Die Auswilderung von Tieren aus menschlicher Obhut ist ein facettenreiches Unterfangen mit beachtlichen Erfolgsquoten, schreibt Severin Dressen, Direktor des Zoos Zürich.
Publiziert: 10.04.2024 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 06.04.2024 um 13:34 Uhr
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In der Regenwaldschule lernen Orang-Utans das Klettern in Baumkronen, das Bauen von Nestern und die Suche nach Nahrung.
Foto: Claudia Rudolf von Rohr
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Severin DressenDirektor des Zoo Zürich

Können Tiere aus menschlicher Obhut wieder ausgewildert werden? Diese Frage wird mir immer wieder auf Führungen gestellt. Die einfache Antwort ist: Ja. Wissenschaftliche Zoos und andere Naturschutzorganisationen sind weltweit an zahlreichen Auswilderungsprogrammen beteiligt. Immer mehr Arten sind bedroht und immer mehr Tiere aus Menschenhand werden für Wiederansiedlungen benötigt. Auch züchten und halten immer mehr Zoos gefährdete Arten. 

Aber wie so oft ist das Leben selten einfach schwarz-weiss. Auswilderungen sind immer komplex. Eine wichtige Grundregel ist: Je jünger das Tier, desto einfacher ist eine Auswilderung. Die zweite Regel lautet: Je weniger ein Tier von seinen Eltern fürs Überleben lernen muss, desto einfacher ist die Auswilderung.

Bei unseren Habichtskäuzen, deren Jungtiere in Österreich ausgewildert werden, lernen die Jungen fast nichts von ihren Eltern. Und so können die jungen Käuze, nachdem sie einige Zeit lang in einer Trainingsvoliere gelernt haben, lebende statt tote Nagetiere zu erbeuten, ausgewildert werden. 

Das komplette Gegenteil sind die vom Aussterben bedrohten Orang-Utans. Ihrem Schutz ist eines unserer acht Schwerpunktnaturschutzprojekte auf Sumatra gewidmet. Unser Partner vor Ort, die Schweizer Organisation PanEco und der indonesische Counterpart YEL, haben sich dem Schutz und der Wiederauswilderung dieser hochkomplexen Affenart verschrieben. Ein aufwendiges Unterfangen.

Junge Orang-Utans lernen unglaublich viel von ihren Müttern. Bis zu neun Jahre bleiben die Jungtiere bei ihnen, lernen sich im Wald zu bewegen und welcher Baum wann, wo Früchte trägt. Was ihnen jedoch niemand beibringt, ist, sich gegen den Verlust ihres Lebensraums zu wehren.

Die Abholzung der Regenwälder, vor allem für Palmölplantagen, nimmt den Tieren ihr Zuhause und bringt sie in Konflikt mit der Bevölkerung, was für Orang-Utans oft mit einer Verletzung endet.

Gleichzeitig werden junge Orang-Utans noch immer zahlreich für den illegalen Heimtierhandel gefangen. Die verwundeten und traumatisierten Affen landen dann in der Auffangstation von PanEco. 17 Orang-Utans waren es im vergangenen Jahr, knapp 466 in den letzten 20 Jahren. Es beginnt eine aufwendige Rehabilitation. Neben der Wundversorgung und Traumabewältigung heisst das für junge Orang-Utans vor allem Trainieren, im Regenwald zu überleben.

Dazu besuchen sie die Regenwaldschule. Dort lernen sie das Klettern in Baumkronen, das Bauen von Nestern, die Suche nach Nahrung. Das Training ist sehr personalintensiv und kann Jahre dauern. Allerdings ist es auch von Erfolg gekrönt. Letztes Jahr wurden 15 Tiere ausgewildert, 387 insgesamt. Eine beachtliche Quote von 83 Prozent.

Das funktioniert, da die Arbeit vor Ort viel mehr umfasst als «nur» die Auswilderung. Regenwaldschutz ist facettenreich: Erforschung des Regenwalds und die Beobachtung der ausgewilderten Tiere, Lobbyarbeit, Rechtsdurchsetzung, Umweltbildung, Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit. Und unerlässlich: die Unterstützung durch die lokale Bevölkerung. Das gilt dann sowohl für Orang-Utans auf Sumatra als auch für österreichische Habichtskäuze.

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