Es ist nicht lange her, da war meine Stimmung im Keller. Die Blick-Push-Nachricht: «Neue Corona-Variante Omikron legt die Welt lahm – Fallzahlen schnellen auch in der Schweiz in die Höhe.» Das war im Dezember 2021 – genau vor einem Jahr.
Vorbei die Hoffnung auf ein besinnliches Weihnachtsfest mit den Grosseltern. Die Sehnsucht nach dieser oft beschworenen «Normalität» erreichte einen neuen persönlichen Höhepunkt. Die Masken blieben auf. Es galt (zu Recht) Vorsicht walten zu lassen. Schon wieder!
Beinahe unbemerkt – und im Schatten der russischen Invasion in der Ukraine – haben wir in der Schweiz im Frühling und Sommer unser «normales» Leben zurückerhalten. Und ebenso unbemerkt von mir – und gefühlsmässig auch von der Öffentlichkeit – ist uns das «normale» Leben im Herbst und bis jetzt im Winter treu geblieben.
Das erste sorgenfreie Weihnachtsfest mit den Grosseltern seit langem steht in meiner Familie an. Corona und Impfen wird kein Thema mehr sein. Auch in der Politik und auf der Strasse geht man wieder freundschaftlicher, ja schweizerischer, miteinander um. Die abstrusen Diktaturen-Vorwürfe? Schon lange kein Thema mehr.
Wie habe ich mich vor einem Jahr danach gesehnt – und wie undankbar nehme ich das jetzt hin. Ja, ich habe in dieser schnelllebigen und manchmal düsteren Welt (Ukraine-Krieg) schon wieder vergessen, was für ein Privileg eine ganz normale Adventszeit ist.
Diese Woche plötzlich die jähe Erinnerung. «Lockdown-Proteste in China eskalieren», meldet mein Smartphone. Im Reich der Mitte setzt der Staat seine Null-Covid-Strategie fort: Millionen von Menschen sind in ihren eigenen vier Wänden gefangen. Roboterhunde patrouillieren durch die Strassen, Drohnen erklären den eingeschüchterten Bewohnern die Regeln.
Die übelsten Science-Fiction-Vorstellungen werden in China gerade wahr. Wer sich dagegen wehrt, wird festgenommen – und teilweise fast zu Tode geprügelt. Fast schon nebensächlich ist da die Feststellung: Die chinesische Wirtschaft ist nur noch ein Schatten vergangener Tage.
Die tragischen Zustände in China können wir nicht beeinflussen. Aber wir können diese spezielle – weil normale – Adventszeit in der Schweiz bewusster geniessen. Seien wir dankbar dafür, dass wir unsere Grosseltern, unsere Enkelkinder und kranken Väter und Mütter wieder in die Arme schliessen können. Denn wir wissen: It's not a given, it's a blessing.