Hier handelt es sich um ein Phänomen, das durch den Lockdown und die damit verbundene Kommunikationsweise vermehrt in Erscheinung tritt, aber schon lange bestanden hat: ungeführte Sitzungen. Zusammenkünfte also, bei denen niemand bestimmt, wer das Wort hat, und es den krankhaft Abschweifenden und generell Geschwätzigen nötigenfalls entzieht.
Hinzu kommt, dass die Menschen zu wenig soziale Kontakte haben – und komplett die Contenance verlieren, wenn sie endlich mal mit jemandem reden können. Das wäre auch alles nur halb so schlimm, müssten dabei
nicht zehn andere zuhören. So wird ein eigentlich wichtiges Gefäss, die professionelle Abstimmung, als privates Ausgleichsbecken missbraucht, das grotesk überläuft:
Anstatt sich maximal 15 Minuten konzentriert zu organisieren, wird zwei Stunden lang über alles Mögliche geredet – das Tagesgeschäft, Corona, die Kinder. Monologe von 20 Minuten, sowieso eine Zumutung, sind dabei offenbar keine Ausnahme. So geht nicht nur viel Zeit verloren, sondern auch Energie. Es ist extrem ermüdend, anderen dabei zuzuhören, wie sie ziellos vor sich hinplappern, bloss weil sie es können. Diesem Treiben gebietet nämlich nie jemand Einhalt, weil in der Schweiz nur
ausgewiesene Choleriker sich erlauben, mal ein Machtwort zu sprechen.
Im Gegenteil: Die grenzenlose Redefreiheit wird mit gutem Teamgeist verwechselt. Dank der Video-Chats wird jedoch mehr Zeit vertrödelt denn je, weswegen es dringend geboten ist, entsprechende Disziplin einzuführen: Sitzungen müssen geleitet, Redezeit muss radikal beschränkt werden. Wer sich privat äussern will, soll das in seiner Freizeit tun – und nur gegenüber jenen, die wirklich zuhören wollen. Sonst haben wir nebst Übergewicht und Depressionen bald noch ein anderes Pandemieproblem: Kommunikationsekel.