Viele würden das nun leidenschaftlich verneinen und auf das befruchtende Potenzial von Gegensätzen verweisen: Ich lerne von dir, du lernst von mir. In der Praxis funktioniert diese schöne Idee aber nur bedingt, denn sie setzt voraus, dass man voneinander lernen will, dass also das Gedankengut des einen für den anderen grundsätzlich attraktiv ist.
Und dies wiederum ist nur der Fall, wenn beide einander auf weite Strecken ähnlich sind.
Um es anhand eines plakativen Beispiels zu erklären: Ein Neonazi und ein homosexueller arabischer Flüchtling könnten durchaus voneinander lernen, und eine solche Begegnung würde in der Tat viel Frieden schaffen. Aber sie wird kaum jemals stattfinden, weil beide etwas verkörpern, das den anderen wütend macht und ängstigt, das er nicht versteht und mit dem er sich in keiner Weise identifizieren kann.
In Ihrem Fall wird die Diskrepanz nicht derart dramatisch sein, schliesslich kennen und schätzen Sie einander seit langem. Dennoch stellt sich die Frage, worüber man noch mit jemandem reden will – wirklich reden, nicht bloss Smalltalk führen –, der einen mit jedem zweiten Satz in den Wahnsinn treibt? Diese Erfahrung haben in jüngster Vergangenheit viele gemacht, deren Freunde sich in Corona-Leugner, Staats-Skeptiker und Verschwörungs-Clowns transformiert haben.
In solchen Fällen, wenn man sich diametral gegenübersteht, erzeugt die Begegnung nur noch Verdruss. Und dafür ist das Leben nun einmal einfach zu kurz. Entweder man kann sich mit jemandem relevant austauschen, sodass beide einander bereichern und animieren, was übrigens keineswegs hundertprozentige Übereinstimmung bedeutet, oder man lässt es, weil eben gar keine Übereinstimmung mehr möglich ist. Eine Freundschaft braucht gemeinsame Themen, sonst funktioniert sie nicht.
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