Frauen wird von klein auf beigebracht, dass es für sie von erheblichem Vorteil ist, süss, hübsch und artig zu sein. Denn für all diese Eigenschaften gibt es Anerkennung – und eigentlich nur für diese. Intelligenz, Selbstbewusstsein oder Talent zählen deutlich weniger oder getlen gleich als verdächtig. Nicht ohne Grund wird die Schönheit einer Frau als zentrale Kompetenz herausgestrichen, selbst bei hochbegabten Künstlerinnen, und nicht ohne Grund gelten Frauen, die ihre Meinung deutlich kundtun, schnell als Zicke.
Es ist ein Sozialisierungsproblem, das auf der je nach Geschlecht völlig verschieden beantworteten Frage beruht, was einen Menschen wertvoll mache. Frauen fällt es überhaupt nicht schwer, Nein zu sagen – es wird ihnen schwergemacht. Von Männern. Und von Frauen, die glauben, besser durchs Leben zu kommen, wenn sie sich ducken.
Hinzu kommt, dass Ihr ehemaliger Kollege Sie mit seiner Körperlichkeit wohl schlicht überrumpelt hat. Natürlich hätten Sie ihm sagen können, dass Ihnen die Umarmung unangenehm ist, und sich sofort aus dieser lösen können, aber das hätte eine irritierte, womöglich ziemlich beleidigte Reaktion hervorgerufen. Frauen neigen dazu, Männer nicht zu brüskieren, weil diese schlicht unberechenbar sind – gerade wenn es um ihren Stolz geht. Auch das ist eine Dynamik, die Frauen nicht erfunden haben, unter der aber ausschliesslich sie leiden.
Zum Glück gibt es die sichere Distanz von Mail und Messenger: Schreiben Sie diesem Mann, dass Sie seine Avancen schon damals nicht begrüsst hätten und ihm auch heute in keiner Weise nahe sein wollten, weswegen er künftig auf Umarmungen verzichten möge. Das wird ihm gewiss nicht gefallen, aber das ist sein Problem, und es spielt sich dann nicht vor Ihren Augen ab.