Professor Hengartner erklärt
So sieht die Zukunft in fünf Jahren aus

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft. Diese Woche: Wo in den nächsten Jahren mit wissenschaftlichem Fortschritt zu rechnen ist.
Publiziert: 12.01.2022 um 12:02 Uhr
Studenten der ETH Zürich: Prägen sie die Zukunft der Wissenschaft mit?
Foto: Jasmin Frei / ETH Zürich
Michael Hengartner_07.02.2020_08.jpg
Michael HengartnerPräsident des ETH-Rats

2022 – was das Jahr wohl bringen wird? Wer wird Abfahrts-Olympiasiegerin? Wer Fussballweltmeister? Und wer gewinnt den Nobelpreis? «Prognosen sind schwierig», sagt man, «besonders wenn sie die Zukunft betreffen.»

Während genaue Voraussagen schwierig sind, ist es möglich, aufgrund von Trends gewisse Entwicklungen vorauszusehen. Die Genfer GESDA-Stiftung hat genau dies getan, und erstmals einen «Science Breakthrough Radar» publiziert – eine Art Teleskop in die Zukunft. Dieses fasst zusammen, auf der Basis aktueller Daten und der Einschätzung von über 500 internationalen Expertinnen und Experten, mit welchen technologischen Fortschritten in den nächsten fünf, zehn oder 25 Jahren wahrscheinlich zu rechnen ist.

In fünf Jahren, so der Bericht, werden Fotovoltaikanlagen in den meisten Teilen der Welt billiger sein als der Bau neuer Kohle- und Gaskraftwerke. Zudem wird eine neue Generation von grösseren und stärkeren Offshore-Windturbinen mit einem Rotordurchmesser von über 220 m und einer Leistung von bis zu 15 Megawatt installiert. Zum Vergleich: Das vor kurzem abgeschaltete Kernkraftwerk Mühleberg hatte eine Leistung von knapp 400 Megawatt.

In zehn Jahren werden alternative Proteine – also Eiweisse aus Algen, Pflanzen oder Pilzen – billiger sein als Fleisch. Die im Vergleich zu heute deutlich verbesserten Produkte werden einen Anteil von fünf bis zehn Prozent des weltweiten Fleischmarktes erreichen.

Und in 25 Jahren werden Fortschritte in der Automatisierung die Einrichtung vollautomatischer Forschungsstationen am Meeresgrund ermöglichen. Dank dieser Tiefseeobservatorien werden wir sehr viel besser verstehen, was in den Tiefen des Meeres alles vor sich geht und wie die Tiefsee und der Rest des Planeten sich gegenseitig beeinflussen.

Dass das alles ganz genau so eintreffen wird, ist natürlich ungewiss. Einige Entwicklungen kommen vielleicht früher, andere dafür später, manche vielleicht sogar gar nicht. Aber zumindest haben wir nun eine Ahnung, wie unsere Zukunft aussehen könnte. Und das ist der grosse Mehrwert dieser Arbeit: Sie erlaubt es, uns schon heute mit der Welt von morgen auseinanderzusetzen. Und das wiederum gibt uns die Möglichkeit mitzubestimmen, wie diese Welt von morgen dann auch aussehen soll.

Das GESDA-Zukunftsteleskop macht über 200 Prognosen und umfasst Themen wie Bildung, Ernährung, Gesundheit, Weltraum, Diplomatie, Gentechnik, Bewusstsein oder künstliche Intelligenz. Auf welches Pferd sollten wir in der Energiepolitik setzen? Wie werden wir künftig Krebspatienten behandeln? Und wie werden wir uns künftig Wissen aneignen? Wenn wir als Gesellschaft eine Zukunft wollen, die uns gefällt, müssen wir uns schon heute mit der Welt von morgen auseinandersetzen, um die Weichen für morgen dann auch richtig stellen zu können. Denn die Zukunft soll nicht etwas sein, das einfach passiert. Wir haben es in der Hand, unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?