Ohne Mann, ohne Frau
Das zweite eine Geschlecht

Männlich oder weiblich? Egal. Forscherinnen und Forscher schlagen vor, das Geschlecht aus amtlichen Dokumenten zu streichen. Das klingt fortschrittlich, ist es aber nicht.
Publiziert: 04.07.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 03.07.2022 um 22:04 Uhr
Kolumnistin Ursula von Arx fragt: Wird in einer Welt ohne Männer und Frauen automatisch alles besser?
Foto: DUKAS
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Ursula von ArxJournalistin und Buchautorin

Alles so verwirrend hier. Freunde der Schulmedizin wurden plötzlich zu Impfgegnern, Pazifisten zu Waffenlieferanten, und jetzt wollen Feministinnen auch noch die Frau abschaffen.

Das Forschungsteam um Davina Cooper, Professorin für Recht und politische Theorie am King's College London, schlägt vor, in Zukunft das Geschlecht eines Menschen amtlich gar nicht mehr zu registrieren. Aus ihrer Sicht ist die gesetzlich bis anhin geforderte Zuteilung in männlich oder weiblich eine Zwangsjacke. Von deren Abschaffung verspricht sie sich ein besseres Leben für alle, aber natürlich nicht zuletzt für Menschen, die transgender sind oder physisch weder in die eine noch in die andere Kategorie passen.

Vulva, Penis, Muttermal unterm Ohrläppchen

Zwar gäbe es in der geschlechterfreien Welt von Mrs. Cooper und Co. immer noch Menschen mit Vulva oder Penis, mit Bartwuchs oder Menstruation, gebärende oder viel Testosteron produzierende – aber diese biologischen Tatsachen würden nicht stärker ins Gewicht fallen als ein Muttermal unter dem rechten Ohrläppchen.

Keine Erwartungen würden daraus abgeleitet. Männer würden Négligés tragen oder auch nicht. Frauen könnten sich nach Feierabend mit gelockerter Krawatte und abgestreiften High Heels breitbeinig an die Kettenhotelbar vor einen Whisky setzen und mit den Eiswürfeln klimpern. Keiner würde sich speziell wundern, wenn ein herziges Mädchen wie ein Bierkutscher flucht. Es gäbe keine Flittchen mehr und keine toxische Männlichkeit. Kein Mann müsste sich mehr als Mann behaupten, indem er tötet, was er liebt, also meist sich selbst, indem er mit unterdrückten Tränen und 200 km/h in einen Apfelbaum rast. Männer würden sich um ihre alten Väter kümmern und mit ihnen Memory spielen. Denn auch Männer könnten Mütter sein.

Zauberhand schafft Lohngleichheit

#MeToo gäbe es nicht und gendern wäre sinnlos. Der Gender-Pay-Gap würde – Simsalabim – verschwinden, denn die Löhne würden ja nicht mehr nach Frauen- und Männerlöhnen unterschieden. Frauenquoten? Vergiss es!

Spätestens hier meldet sich bei den Forscherinnen des King's College aber doch ein leiser Zweifel. Sie fragen sich nämlich, ob die Abschaffung der Geschlechtskennzeichnung in amtlichen Dokumenten den staatlichen Stellen nicht vor allem eine Entschuldigung dafür gäbe, sich von jeglichen Gleichstellungsaufgaben zurückzuziehen. Alles wird gut.

Ursula von Arx versteht die Welt besser, seit sie von zwei Geschlechtern ausgeht und über deren Verhältnisse nachdenkt. Sie ist noch nicht bereit, sich deswegen für von gestern zu halten. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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