Auf einen Blick
- Milena Moser trifft einen Taxifahrer, sie teilen Erfahrungen über Korruption und gesellschaftliche Probleme
- Ein Taxifahrer aus einem Drittweltland vergleicht seine Heimat mit ihren Erlebnissen in den USA
- 250 Dollar Bestechungsgeld für eine Badewannen-Bewilligung in einer amerikanischen Stadt
Es regnete, als ich das letzte Mal in Zürich ankam. Ausserdem hatte ich mich mit meinem Sitznachbarn verschwatzt, meine Haltestelle verpasst und stand nun da, ohne Schirm, dafür mit einem riesigen Koffer. Ich nahm ein Taxi. Im Gegensatz zu meiner Wahlheimat werden sie hier noch von Menschen gefahren, Menschen, mit denen ich reden kann. Und das tue ich gerne. Ich lerne immer etwas. Erst aber muss ich mich meist erklären: Warum ich offensichtlich Schweizerdeutsch spreche, aber keine Ahnung habe, welche Strasse gerade wieder gesperrt ist. Wie lange war ich weg? Ewig, so scheint es. Wir kamen ins Gespräch, der Fahrer wollte wissen, wie es so sei, in Amerika zu leben.
«Oh, es ist ein bisschen wie in einem Drittweltland», antwortete ich flapsig und unüberlegt. Er bremste hart und drehte sich zu mir um: «Das dürfen Sie nicht sagen, nicht zu mir! Ich komme nämlich wirklich aus einem Drittweltland!» Ich biss mir auf die Lippen, ich schämte mich, hinter uns hupte jemand, und wir fuhren weiter. Für einmal war ich froh um die vielen Baustellen und Umfahrungen in meiner alten Heimatstadt; sie gaben mir Zeit, mich zu erklären – und erst einmal zu entschuldigen. «Sie haben recht, ich hab wirklich keine Ahnung.»
Dann erzählte ich von Victors Aufenthalten in wohlgemerkt einem der besten Spitäler der Welt, das aber auch einen gefährlichen Fachkräftemangel aufweist. Wie ich ihm warme Decken und geniessbares Essen bringen, wie ich seine Pflege überwachen muss, vor allem die Abgabe der diversen Medikamente. Wie ich ihn einmal in einem Meer von Blut vorgefunden hatte, weil niemand auf sein Klingeln reagierte.
Ich erzählte vom teuersten Wohnturm des Landes, der in unserer korrupten, kleinen Stadt unter Umgehung sämtlicher Bestimmungen gebaut werden konnte und schon nach kurzer Zeit bedenkliche Schieflage aufwies. Nun müssen die Superreichen der Stadt ihre Möbel festhalten, damit sie nicht davonrutschen. Ich erzählte von meinem Nachbarn, der eine neue Badewanne gekauft hatte. Er war kaum vom Baumarkt zurück, da klingelte ein städtischer Beamter an der Tür und erklärte, für eine neue Badewanne brauche er eine Bewilligung – oder 250 Dollar auf die Hand. Der Fahrer nickte nachdenklich. «Das kommt mir wirklich bekannt vor», sagte er. «Das hätte ich nie gedacht.»
Er erzählte von seinem Land, von der Korruption und der Umweltverschmutzung, vom einst grün-golden schimmernden Fluss seiner Kindheit, den er noch in seinen Träumen sieht und den es nicht mehr gibt. Er ist ausgetrocknet, mit toxischem Schlamm gefüllt. Er erzählte von der bitteren Armut der Bevölkerung, die mit dem Versprechen auf ein besseres Leben im Jenseits ruhig gehalten wird. «Ich glaube an Gott», sagte er. «Aber diese Kirchen, die knöpfen den Leuten das letzte Geld ab.» Das kannte ich wiederum aus Amerika auch.
Und so fanden wir uns, zwei Menschen aus zwei Welten, die auf den ersten Blick nichts verbindet und die doch so viele Erfahrungen teilen. «Das Land, das ich so liebe, existiert nicht mehr», sagte er, und ich nickte. Unterdessen waren wir trotz Einbahnstrassen und Baustellen angekommen, doch ich mochte noch nicht aussteigen. Wir redeten weiter, bis sein Handy klingelte, die nächste Fahrt rief. Zum Abschied schüttelten wir uns die Hand. «Danke», sagte ich. Danke für die Erinnerung daran, dass uns mehr verbindet als trennt. Wir leben in einer Welt.