Auf einen Blick
- Die Autorin reflektiert über die Lernfähigkeit ihres Enkels
- Sechs Jahre lang erhielt sie Absagen von Verlagen
- Die unbeirrbare Motivation ihres Enkels inspiriert die Autorin
Unermüdlich, unbeirrbar und irgendwie furchtlos. Nicht aufzuhalten, nicht abzulenken, nicht zu entmutigen. Wieder und wieder stemmt er sich hoch, vom Liegen auf alle viere, von allen vieren ins Sitzen, in die Hocke. Er greift nach einem Stuhlbein, einer Hand, einem Regalbrett, egal, irgendetwas, woran er sich hochziehen kann. Immer wieder fällt er um, manchmal weich, manchmal hart, zwischendurch weint er, dann macht er weiter.
Ich versuche, seine Bewegungen zu imitieren, nach dem dritten Versuch brennen meine Oberschenkelmuskeln, und ich gebe auf. Er nicht. Er ist frustriert, dann lacht er wieder, er macht weiter. Seine Eltern sagen, noch im Halbschlaf, im Dunkeln versuche er, aufzustehen. Irgendetwas in ihm sagt: «Ich weiss, dass ich kann. Ich weiss, dass ich dazu geboren bin, zu stehen. Was heisst zu stehen: zu gehen!»
Fasziniert und gerührt schaue ich zu und verstehe: Es sind nicht nur die Menge und die Vielfalt des Gelernten, die sich in späteren Lebensjahren verringern, es ist vor allem auch die Intensität des Lernens, diese Zielgerichtetheit. Wann habe ich zuletzt etwas so entschieden verfolgt? Auch wenn ich wieder und wieder und wieder daran scheiterte? Ich kann mich nicht erinnern.
Mehr von Milena Moser
Seien wir ehrlich, mehr als zwei-, dreimal machen wir das nicht mit. Wir halten das nicht aus, etwas nicht zu können, nicht zu schaffen, nicht sofort «gut» darin zu sein. Eine interessante Formulierung, dieses schweizerische «ich bin nicht gut darin», statt «das kann ich nicht gut». Als ob das Können, das Gut-Können unsere Identität ausmachte, unser ganzes Wesen bestimmte.
Ich teile meine Beobachtung mit einer Freundin, auch eine frischgebackene Grossmutter. Sie teilt meine Ehrfurcht, meine Rührung angesichts dieser unermüdlichen Anstrengungen, doch dann fällt ihr etwas anderes ein: «Aber so war es doch bei dir auch, damals, als du einen Verlag suchtest. Du bist doch auch immer wieder hingefallen und wieder aufgestanden!»
Stimmt. Ich werde oft gefragt, wie ich das damals durchgehalten habe, sechs Jahre lang Absagen zu sammeln, immer nur zu hören «Das kannst du nicht.» Etwas in mir wusste einfach, dass ich nichts anderes wollte. Dass ich zum Schreiben gedacht war. Vielleicht war das die Einjährige in mir.
Andererseits sucht mein Enkel ja nicht die Bestätigung, dass er aufstehen, dass er gehen darf. Er verfolgt sein Ziel ganz unbeeinflusst von Lob und Anerkennung – nicht, dass er die nicht bekommen würde! Aber es ist völlig klar, dass er unsere Begeisterung zwar geniesst, dass sie aber nicht sein Antrieb ist. Diese unbändige Lust, sich zu bewegen, anders zu bewegen, auf alle viere hochzustemmen, aufzustehen, einen Schritt zu versuchen – die kommt ganz allein aus ihm. Aus einem tief in ihm verankerten Wissen: Das will ich, das kann ich. Auch wenn ich es nicht kann.
Er tut es nicht für uns.
Diese Unbeirrbarkeit, diese Fähigkeit, uns nicht unterkriegen zu lassen, egal, wie oft wir hinfallen, die hatten wir alle mal. Aber irgendwann legen wir sie ab. Oder eher, sie wird uns aberzogen. Irgendwann lernen wir, dass es peinlich ist, hinzufallen. Dass wir es uns nicht leisten können, zu versagen. Irgendwann schlägt unsere innere Kompassnadel um und richtet sich nun ganz auf das Verhindern des Scheiterns. Was bleibt da alles unversucht? Nicht gelebt?
Ich sitze auf dem Teppich und schaue meinem Enkel bei seinen Bemühungen zu. Von dir kann ich nur lernen, denke ich. Zum Beispiel, zu lernen.