Milena Moser über das Älterwerden
Ich bin so alt, wie ich mich benehme

Mit äusserlichen Alterserscheinungen wie Falten kann ich gut leben. Mehr Mühe macht mir meine zunehmende Umständlichkeit in Alltagshandlungen. Auch wenn sie mir neulich einen Gratis-Kaffee bescherte.
Publiziert: 21.10.2024 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2024 um 16:15 Uhr
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Einst nervte sich Milena Moser über ältere Personen, die an der Kasse lange ihr Kleingeld rauskramen.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Milena Moser spürt, dass sie langsam alt wird
  • Für eine Schifffahrt kauft sie versehentlich zu viele Tickets und schiebt es auf ihr Alter
  • Das Älterwerden hat aber auch Vorteile: Sie bekommt einen Kaffee offeriert
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Milena MoserSchriftstellerin

«Ich besorge die Tickets», versprach ich grossspurig und stand drum schon zwanzig Minuten zu früh am Schiffsteg. Irgendwie geht alles viel länger. Ich brauche mehr Zeit, je weniger mir davon bleibt. Das beobachte ich mit einer gewissen Besorgnis. Schliesslich war ich auch mal mehrfachbelastet und dauergestresst, zählte jede Minute in meinem durchgetakteten Alltag. Und wenn vor mir an der Kasse im Supermarkt so ein altes Müeti ewig nach ihrem Portemonnaie kramte und umständlich die richtigen Münzen zusammenklaubte, dann schnaubte ich schon mal hörbar. 

«Keine Zeit, keine Zeit, keine Zeit», tickte es in mir wie im weissen Hasen aus Alice im Wunderland. Heute, wo meine Lebenszeit auch unter besten Vorzeichen absehbar ist, rinnt sie mir durch die Finger wie Sand. Sie versteckt sich in den Untiefen meiner Tasche, in den Fächern meines Portemonnaies. Heute bin ich die, über die ich mich jahrzehntelang genervt habe. 

Der Versuch, die Karten für die kleine Seerundfahrt online zu kaufen, war bereits kläglich gescheitert. Immerhin wusste ich jetzt, dass ich sie auch direkt am Schiffsteg lösen könnte. Das wäre doch ganz einfach. Zu einfach? War es ein lächerlicher Stolz, eine Vorstellung, wie ich die souveräne Mama mimen könnte, die schon am Schiffsteg steht, die Karten aufgefächert in der Hand? Wann war ich je souverän?

Zurück zum Schiff: Da stand ich also am Bürkliplatz vor dem Schalter und hörte mit zunehmender Beklemmung, wie die Angestellte die Touristen zusammenstauchte: «Ju kän sey helou först! Helou, sey helou!» Die Frau machte mir Angst, und so verliess ich die Schlange. Unfreundlichkeit ertrage ich auch je länger, desto weniger. Meine Rüstung ist rostig geworden, brüchig. Ich tippte also auf den Automaten ein, so schwierig war das gar nicht. Halbtax ja, Beleg nein. Fünf Papierstreifen spuckte der Automat aus. Das schien mir etwas übertrieben, doch da kamen auch schon meine Lieben und umarmten mich. Stolz zeigte ich meine Papierstreifen vor, nur um diesen halb nachsichtigen, halb besorgten Blick zu ernten, dem ich ja genau entgehen wollte. 

«Bist du sicher, dass das richtig ist?» War ich nicht, aber ich nickte resolut. Resolut war auch die fröhliche Mitarbeiterin, die an Bord unsere Fahrkarten kontrollierte. «Wo ist denn der Rest Ihrer Gruppe?», fragte sie. «Kommen die noch?» Stellte sich heraus, ich hatte mehr Tickets gekauft, als wir tatsächlich brauchten, und manche davon zum vollen Preis. 

«Das Alter macht mich blöd», seufzte ich. «Das haben Sie gesagt, nicht ich!» Ich schämte mich auch nicht lange, denn die Frau brachte uns alle mit ein paar trockenen Sprüchen und gut gesetzten Pointen zum Lachen. Zurücknehmen konnte sie die überzähligen Tickets nicht, da ich sie am Automaten gelöst hatte. Dafür trat sie nach einer Weile wieder an unseren Tisch, die Sonnenbrille auf den Augen, die Hand in die Hüften gestemmt.

«Habt ihr schon Kaffee bestellt? Nein? Dann tut das auch nicht.» Verunsichert schaute ich sie an. Hatte ich schon wieder etwas falsch gemacht? Mit dem perfekten Timing einer Bühnenkomikerin wartete sie einen Augenblick, bevor sie die Pointe setzte: «Weil ich euch den offeriere.» Spätestens in diesem Moment umarmte ich meine Umständlichkeit. 

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