Milena Moser über meckernde Seniorinnen
Nicht alles ist heute einfacher

Sind die Zeiten besser, sind sie einfacher geworden? Oder ist das Gegenteil wahr? Eine Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist. Nicht einmal von den ungekrönten Herrscherinnen über die Liegestühle, die Königinnen der Freibäder.
Publiziert: 30.09.2024 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2024 um 08:16 Uhr
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Im Freibad begegnete Milena Moser nörgelnden Seniorinnen.
Foto: Getty Images

Auf einen Blick

  • Ältere Frauen bilden exklusive Gemeinschaften in Freibädern
  • Sie kritisieren jüngere Mütter für ihre Beschwerden
  • Milena Moser findet zu einer neuen Zukunftsvision
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Milena MoserSchriftstellerin

Es war Sommer in Zürich, meine Freundin und ich waren früh in der Badi, ergatterten Liegestühle und einen Platz im Schatten. Als ich mit Kaffee und Gipfeli vom Kiosk zurückkam, hatte sich die Wiese unter den Bäumen gefüllt. Drei Frauen, älter als ich und offenbar Habituées, hatten ihre eigenen Liegestühle aus abschliessbaren Schäften gezerrt, ihre Taschen und Tücher ausgebreitet, Thermoskannen, Tassen und Tageszeitungen. Die Blicke, die sie zu uns hinüberschickten, enthielten eine unmissverständliche Warnung: Wir befanden uns in ihrem angestammten Revier. Wir waren hier nur geduldet.

Frauen wie sie hatte ich in jeder Badi beobachtet, seit ich Badis besuche, schon als Kind. Immer mit derselben Mischung aus Faszination und Furcht. Sie haben Saisonkarten, die sie jeden Tag nutzen, egal wie das Wetter ist. Sie treten immer mindestens zu dritt auf. Und herrschen über die schönste Ecke der Anlage, die ihnen kampflos überlassen wird. Sie sind die ungekrönten Königinnen jedes Freibads. 

An diesem Tag verkündete die Titelseite der Gratiszeitung, dass die Mehrheit der Eltern erschöpft ist, ausgebrannt. Meine Freundin, Mutter kleiner Kinder, hatte die Zeitung entnervt in ihre Tasche zurückgestopft: «Erzählt uns was, was wir noch nicht wissen», hatte sie geknurrt. Und sich dann zurückgelehnt, mit der festen Absicht, diese seltenen, glorreichen Tage nach Schulbeginn und vor Sommerende zu geniessen.

Doch die Damen unter der Linde empörten sich: Das sei doch lächerlich, schimpfte die eine. «Was haben die Frauen heutzutage denn zu meckern, die haben doch alles!» «Ja, wir mussten noch alles selber machen!» 

Meine Freundin setzte ihre Ohrstöpsel ein. Ich beugte mich vor, ich wollte mich einmischen: Die zitierte Studie sprach von Eltern, nicht von Müttern. Und überhaupt, diese Damen waren vielleicht 15 Jahre älter als ich. Wie viel hatte sich in dieser Zeit verändert? Und in den 35 Jahren, seit ich Kinder habe? 

Ich war als junge Mutter definitiv überfordert, immer am Rande des Nervenzusammenbruchs. Und zwar nicht, weil ich Stoffwindeln von Hand waschen oder drei verschiedene Breisorten selbst einkochen musste – es gab Frauen, die das leisteten, freiwillig, aber ich gehörte nicht zu ihnen.

Nein, was mich quälte, war der ständig an mir nagende Verdacht, ich mache es nicht richtig, nicht gut genug, nicht so gut, wie die anderen. Und das war, bevor das Internet, das Smartphone, die sozialen Medien erfunden worden waren. Das war, bevor diese flackernde Flamme der Unruhe ständig, ununterbrochen, Tag und Nacht angefacht wurde. 

«Es ist nicht einfacher geworden», wollte ich sagen. «Es ist nicht alles besser heute!» 

Doch dann schaute ich mir diese Frauen genauer an und dachte: Man kann ihnen vieles nachsagen – sie sind immer zu dünn, sie glauben offensichtlich nicht an Sonnenschutzmittel, sie rauchen zu viel und vor allem schimpfen sie über andere.

Aber auch das ist wahr: Sie sind nicht allein. Sie sind Teil einer Gemeinschaft, vielleicht nur während der Sommermonate, aber immerhin. Sie machen ihre eigenen Regeln, sie halten zusammen. Es gibt schlimmere Arten, alt zu werden.

Ich schaute zu meiner Freundin hinüber, die die Augen geschlossen hielt und sanft mit dem Kopf zu einer Musik wippte, die ich nicht hörte. Und ich legte in meiner inneren Kartei von Zukunftsvisionen, von Vorstellungen, wie ich alt werden könnte, eine neue Karte an: Badiqueen, aber freundlich.

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