Milena Moser
Mit den Händen arbeiten

Von Technik verstehe ich nichts, mit Werkzeugen stehe ich auf Kriegsfuss, und Anleitungen, zum Beispiel zum Zusammenbauen von Möbeln, verstehe ich nicht. Doch in den letzten Jahren habe ich einiges gelernt. Und erst noch Spass daran bekommen.
Publiziert: 03.10.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2022 um 15:58 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Im Februar erschien ihr neues Buch «Mehr als ein Leben».
Foto: Barak Shrama Photography
Milena Moser

Es ist jetzt acht Jahre her, dass ich Victor zum ersten Mal bei einer seiner Altarinstallationen half. Wie nervös ich damals war! Ich entschuldigte mich im Voraus für sämtliche Fehler, die ich todsicher machen würde, und betonte ein ums andere Mal, dass ich nicht besonders geschickt sei, also wirklich nicht. «Ich habe zwei linke Hände!» Ausserdem war ich bereits über fünfzig, nach einschlägiger Weisheit zu alt, um etwas Neues zu lernen. Ha!

Wenige Tage später kletterte ich auf ein vier Meter hohes Gerüst, mit einer Bohrmaschine und einer Nagelpistole bewaffnet, um die kuppelförmige Dachkonstruktion auf dem Altar zu befestigen. Ich weiss noch, wie ich nach oben schaute, wo eine junge Elektrikerin von einer Krankabine aus an der Lichtschiene hantierte. Sie hob die Hand zum Gruss, ich nickte zurück. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich cool fühlte. Cool und irgendwie unbesiegbar. Dann fiel mir ein Schraubenschlüssel aus der Hand und verfehlte knapp den Kopf eines Freundes, und die Demut hatte mich wieder.

Cool sein ist überbewertet, ich weiss. Und trotzdem, ich gebe es zu: Ich liebe es, die Lederschürze mit den vielen Taschen umzuschnallen, mit Schrauben und Nägeln zu bestücken, mit breitminigen Bleistiften und Papiermessern und Messbändern. Ich bin unsinnig stolz darauf, meine Angst vor der Kreissäge überwunden zu haben, ich bilde mir etwas auf meine exakten Schnitte ein. Und das Bedienen der Nagelpistole versetzt mich in Superheldinnen-Fantasien. Vor allem aber entdeckte ich die tiefe Befriedigung, die entsteht, wenn man sieht, was man gemacht hat. Das Gerüst steht. Die Verstrebung hält. Die Lampe brennt.

Das grösste Kompliment, das mir in dieser ersten Woche als handwerklicher Assistentin gemacht wurde, war: «Du kannst echt arbeiten!»

Es war das grösste Kompliment, weil ich es noch nie gehört hatte. Weil ich eine Seite an mir entdeckte, die ich nicht kannte. Weil ich mir plötzlich etwas zutraute, von dem ich ein Erwachsenenleben lang sicher gewesen war, ich könne es nicht.

Natürlich machte ich Fehler. Aber da war ich nicht die Einzige. Victor machte Fehler, seine erfahreneren Helfer machten Fehler, selbst die in der Galerie angestellten Handwerker, die den Künstlern zur Seite standen, machten Fehler. Je nach Schweregrad, Tageszeit und Stimmung wurde darüber gelacht oder geflucht oder beides. Aber ein Problem war es nie. Jeder macht Fehler, Fehler gehören dazu. Da waren sich alle einig. Nur mir war das neu.

«Es ist ein Fehler, kein Weltuntergang», sagte Victor einmal, als ich mich gerade wieder händeringend für etwas entschuldigte. Und ich wurde still, denn für mich war es das. Einen Fehler zu machen, war der Weltuntergang. War eine Katastrophe, war unverzeihlich. Woher kam dieser Irrglaube, diese Wahnvorstellung? Darüber würde ich noch länger nachdenken müssen. Doch in diesem Moment wurde mir klar, dass nur die Angst, etwas falsch zu machen, «es» nicht zu können, nicht zu genügen, zwischen mir und neuen Erfahrungen stand. Und ich liess sie fallen, diese Angst, so wie ich den Schraubenschlüssel hatte fallen lassen. Sie fiel von der vier Meter hohen Leiter hinunter und zerschellte auf dem Zementboden, sie stand mir nicht mehr im Weg.

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