Der Tag begann damit, dass ich das teure japanische Meersalz in meine Kaffeetasse streute statt über mein weich gekochtes Ei. Zur Nachahmung nicht empfohlen. Mit dem unbeschreiblich scheusslichen Nachgeschmack begleitete mich die Ahnung, dass ein Tag, der so begann, auch so weitergehen würde. Mit kleineren und grösseren Missgeschicken und Vergesslichkeiten. Und so war es auch. Ich bin ja keine Anfängerin. Ich bin eine Meisterin der Zerstreutheit.
Mit dem Älterwerden habe ich mich aber auch damit versöhnt. Ich weiss aus Erfahrung, dass es nicht viel bringt, mit sich zu hadern und sich zu beschimpfen. Und dass die Welt meist nicht untergeht, nur weil man etwas vergisst, verliert, verjoggelt oder verhudert.
Die Galerie, in der wir Victors jährlichen Mega-Altar installieren, war an diesem Tag geschlossen. Ich hatte also frei. Die Installation ist immer ein intensiver Prozess, wir arbeiten zehn, zwölf Stunden ohne Pause, wissen nicht, ob draussen die Sonne scheint oder ein Tornado hereinbricht. Wir sind staubbedeckt und erschöpft, und alles Mögliche tut uns weh und erinnert uns daran, dass wir weder jung noch besonders fit sind.
Folgerichtig wollte ich an diesem Tag eine Yogastunde besuchen, und das tat ich auch, ächzend und vor mich hin jammernd, aber eigentlich auch stolz auf mich. Meine steifen Muskeln und schmerzenden Gelenke waren schliesslich hart erarbeitet! In der Garderobe gab ich noch ein bisschen mit meinen handwerklichen Fähigkeiten an, und als ich auf die Strasse hinaus trat, hatte die Mittagssonne den Nebel besiegt.
Vielleicht würde ich auf dem Heimweg bei der französischen Bäckerei anhalten, dachte ich, während ich nach meinem Autoschlüssel wühlte. Und ihn nicht fand. Ich setzte mich auf den Randstein und kippte den gesamten Inhalt meiner Tasche aus. Kein Schlüssel. Ich packte alles wieder ein. Und alles wieder aus. Dann ging ich zurück zum Yogastudio, das unterdessen geschlossen war. Ich rief meine Lehrerin an, die schon auf dem Heimweg war. Sie würde aber später zurückkommen und die Garderobe durchsuchen. Wann «später» war, sagte sie nicht, und so bummelte ich ziellos durch die Strassen, bis ich plötzlich, mitten auf einer Kreuzung, Joy in die Arme lief. Joy lebt in Oregon, ich hatte sie länger nicht gesehen. Doch sie war offenbar schon länger wieder in der Stadt, um einem todkranken Freund beizustehen, der dann auch gestorben war. Jetzt räumte sie seine Wohnung, offenbar eine wahre Sisyphusarbeit. «Warum du?», fragte ich. Da wechselte das Licht, und sie zog mich auf die andere Seite. «Das ist eine lange Geschichte. Hast du Zeit?»
Ich hatte. Ich begleitete sie in die wunderschöne, bis unter die Decke mit Besitztümern vollgestopfte Wohnung, half ihr beim Räumen und Sortieren und hörte ihr zu. Irgendwann meldete sich die Yogalehrerin wieder: «Kein Schlüssel.» Und dann brauchte Joy eine Pause. Sie fuhr mich nach Hause, wo Victor gerade Tamales aufgewärmt hatte. Sie setzte sich zu uns an den Tisch und seufzte. «Das ist genau das, was ich heute brauche!»
Ein Glück, dass mein Kopf nicht angewachsen ist.
Und der Schlüssel? Den fand ich später in meiner Tasche, wo er hingehörte. Er hatte sich nur kurz versteckt, damit ich Joy in die Arme laufen konnte.