Ich kann es den Fragenden nicht verdenken. Heute Morgen zum Beispiel erwartete mich noch vor dem ersten Kaffee die Meldung von neuen Waldbränden im wunderschönen Wine Country, von 70'000 Evakuierungen, von Chaos, Verzweiflung und giftigem Rauch in der Luft. Und das ist nur gerade das, was in der nächsten Umgebung passiert. Das sind nur die alleraktuellsten Katastrophen. Das ist nur das Wetter.
Dann gibt es ja noch die Politik und die Pandemie. Die Einwanderungsbehörde und das Gesundheitswesen und die verschalten Schaufenster, die verwaisten Geschäfte, die Obdachlosen und die zweihunderttausend Toten und …
Manchmal möchte ich mir wie ein Kind die Finger in die Ohren stecken, die Augen zukneifen, nichts sehen und nichts hören. So hab ich mir mein grosses Abenteuer nicht vorgestellt. Klar. Und, auch klar: Ich bin nicht mehr zwanzig, dreissig oder vierzig. Ich mache mir mehr Sorgen als früher, auch unter günstigeren Bedingungen. Ich stecke weniger weg, ich leide mehr mit. Meine Haut ist dünn geworden, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.
Aber bereuen? Ehrlich gesagt, ich bereue nur sehr wenig. Und nicht, weil ich nur sehr wenig Fehler machen würde. Im Gegenteil. Aber wirklich bereuen tue ich nur die, mit denen ich andere Menschen verletzt oder ihnen geschadet habe. Aber das ist nicht, worauf die Frage abzielt. Sie legt vielmehr den Finger auf einen wunden Punkt: Wir können nicht voraussehen, was passiert. Das Leben hält sich nicht an unsere Pläne. Was als wunderbares Abenteuer gedacht war, kann zum Albtraum werden. Warum es also überhaupt erst wagen? Warum irgendetwas tun, was man irgendwann bereuen könnte?
Denn das wirklich Interessante an der oben gestellten Frage ist ja das letzte Wort: «jetzt». Als ob man nur darauf gewartet hätte. Als ob es keine andere Möglichkeit gäbe.
Nicht dass ich die Frage nicht verstehen würde. Ich sehne mich durchaus nach ruhigeren Zeiten, ach, ich möchte mich mal wieder so richtig langweilen! Ich wünschte mir mehr Sicherheit in meinem Leben. Ich möchte auch mal zu guten Nachrichten aufwachen. Oder gar keinen! Was ist eigentlich aus der Zeitungsente geworden? Der Saure-Gurken-Zeit? Aber ich schweife ab. Denn so sehr mir die Umstände, unter denen ich jetzt lebe, zusetzen, sie tun mir auch gut. Die Herausforderung tut mir gut. Diese Unsicherheit am eigenen Leib zu spüren, diese Anfechtungen auszuhalten. Und auch zu merken, dass nichts von dem, was mich früher definierte, eine Bedeutung hatte. Das ist eine Erfahrung, die jeder macht, der sein Land verlässt, selbst die privilegiertesten Auswanderer, zu denen ich sicherlich zähle. Wir bringen nichts mit. Nichts zählt mehr. Jedenfalls nicht Äusserliches. Wir sind wieder auf Feld eins.
Was ich jetzt brauche, was mir jetzt helfen kann, ist in mir drin – oder eben nicht. Durchhaltevermögen und Zuversicht. Demut – ein altmodischer Begriff. Humor, im Sinn von: über mich selbst lachen zu können.
Habe ich diese Fähigkeiten oder habe ich sie nicht? Wenn nicht, kann ich sie entwickeln? In gemütlicheren Zeiten würde ich das nie herausfinden.
Und deswegen ist die Antwort: nein. Ich bereue es nicht. Immer noch nicht.
Aber fragen Sie mich morgen noch mal.