Joan war der Star der Party, zumindest für meine Buchgruppenfreundin und mich. Obwohl Joans Mann, ein bekannter Künstler, neben ihr stand, war sie es, die uns beeindruckte. Wir waren aufgeregt wie Fangirls: «Oh mein Gott, du bist Bibliothekarin! Wie toll ist das denn!» Joan lächelte bescheiden, und ihr Mann schenkte uns allen nach. Ein netter Kerl. Aber eben, kein Bibliothekar. Den Rest des Abends verbrachten wir in unserer Ecke, diskutierten über Bücher, Lieblingsbücher, wiedergelesene Bücher, unterschätzte Bücher. Und die Bedeutung der Bibliotheken, die immer mal wieder in Gefahr sind, geschlossen zu werden. «Ohne Bibliotheken kann eine Gesellschaft nicht überleben», sagte Joan. Und wir nickten. «Gerade jetzt!»
Ende September feierten die öffentlichen Bibliotheken hier die «Banned Books Week», die Woche der verbotenen Bücher. Da werden bewusst all die Titel beworben, die von den Leselisten und aus den Bibliotheken konservativer Schulbezirke verbannt wurden. In diesem Jahr waren das erschreckend viele. Auch wenn diese Bücher selbstverständlich noch erhältlich sind, ist es ein Skandal, eine Zumutung und ein erschreckendes Warnsignal.
Bibliotheken sind oft der einzige Zugang zu einer Welt, die Sinn machen könnte. Bibliotheken sind sichere Häfen, sind Fluchtorte, sind Verstecke. Nicht nur für verbotene Bücher, auch für Kinder und Jugendliche, die nirgendwo richtig dazugehören, die sich nicht wohlfühlen in ihrer Haut, die spüren, dass da noch etwas anderes sein muss. Etwas, das sie nicht benennen können. Etwas, das sie in Büchern finden.
Bevor ich zum ersten Mal eine Buchhandlung von innen gesehen hatte, war da die Schulbibliothek. Obwohl wir diese klassenweise und zu festgelegten Zeiten besuchten, schien die Zeit dort stillzustehen. Irgendwie gelang es mir immer, mich zwischen den Regalen zu verstecken und die Bücher zu lesen, die ich nicht ausleihen durfte, weil ich mein Limit schon ausgeschöpft hatte. Später traf ich mich mit meiner besten Freundin mit Vorliebe in der Gemeindebibliothek, die uns die Treffpunkte ersetzte, für die wir zu jung oder zu wenig cool, zu wenig mutig waren. Stunden verbrachten wir dort, bis uns die Bibliothekarin abends hinausscheuchte. Wir lasen die Bücher, die wir uns nicht trauten auszuleihen, und wurden mutiger und stärker. Wenn auch nicht unbedingt cooler.
Jahre später half ich einmal die Woche in der Bibliothek einer Highschool in San Francisco aus. Unter anderem richtete ich eine Krimi-Abteilung ein. Vor allem aber verbrachte ich Stunden damit, Bücher einzuordnen. Stunden, nicht weil es so viele waren, sondern weil ich jedes einzelne Buch aufschlagen musste und mich in jedem zweiten festlas. Die Bibliothekarin mahnte mich nicht ein einziges Mal, schneller zu arbeiten, das Lesen bei der Arbeit war nicht nur erlaubt, sondern auch vorgesehen.
Und immer stolperte ich irgendwann über einen jungen Menschen, zwischen den Regalen eingeigelt, hinter einer Wand aus Rucksäcken und Turnbeuteln verschanzt, tief in ein Buch versunken. In einer eigenen Welt, in einem geschützten Raum, an einem Ort, der Sinn machte. Jedes Mal hatte ich das Gefühl, über mich selbst zu stolpern. «Es wird besser», murmelte ich. «Glaub mir, es wird besser.»