Kolumne «Wild im Herzen» über den Graumull
Ein Leben für den Staat

Der seltsame Graumull hat so grosse Zähne, dass er nicht einmal trinken kann. Dafür knabbern! Weil er damit Schäden in der Landwirtschaft anrichtet, landet er als «African sausage» auf dem Teller.
Publiziert: 26.02.2021 um 07:57 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2021 um 19:37 Uhr
Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Thomas Buchwalder
Simon Jäggi

Dieses Tier würde nie in einer Bildergalerie der süssesten Tierarten der Welt auftauchen. Es hätte aber einen Platz unter den kuriosesten und eigenartigsten verdient: der Graumull. Zu den Graumullen gehören 14 Arten, eine davon ist Ansells Graumull, der bis 13,5 Zentimeter lang wird.

Graumulle leben in Afrika, südlich der Sahara. Die Sonne sehen sie selten. Ihr Leben verbringen sie unter der Erde, in einem Durcheinandertal von Gängen, das sich über eine Fläche von einem Fussballfeld erstreckt – und eine Gesamtlänge von über einem Kilometer aufweisen kann. Die Gänge graben sie mit ihren Nagezähnen. Diese sind so gross, dass Graumulle nicht einmal fähig sind zu trinken. Wasser nehmen sie über die Nahrung auf.

Graumulle sind mehrheitlich Vegetarier. Gerät mal ein Regenwurm zwischen die Beisser, muss das eher als Versehen abgebucht werden. Viel lieber mögen sie Wurzelknollen, die sie von unten anknabbern – nicht zur Freude der lokalen Bevölkerung. Graumulle werden als Schädlinge bekämpft und sogar verspeist. «African sausage» nennt sich diese gewöhnungsbedürftige Spezialität.

Die Paarung ist königlich

Da man Graumulle kaum zu Gesicht bekommt, wusste man lange wenig über sie. Erst in den letzten Jahrzehnten entdeckte die Wissenschaft, dass sie ein einzigartiges Sozialleben führen. Die kleinen Säuger leben in Gemeinschaften von maximal 40 Exemplaren. Ihre Form des Zusammenlebens wird im biologischen Fachjargon «Staat» genannt. Eine solche Lebensweise kennt man sonst nur von Insekten – bekanntes Beispiel: die Termiten. Die Sandgräber (zu denen auch Graumulle oder Nacktmulle gehören) stellen unter den Säugetieren mit dieser Lebensform eine Besonderheit dar.

Nur das Königspaar pflanzt sich fort. Ihre Nachkommen bleiben in der Gemeinschaft und führen ein Dasein als Helferinnen und Helfer. Die Helfertiere werden je nach Gewicht in Kasten eingeteilt. Jede Kaste übernimmt Aufgaben: graben, füttern, bewachen usw. Die Untertanen könnten sich zwar fortpflanzen, empfinden aber offenkundig kein Bedürfnis danach. Ausnahme: Treffen sie auf ein Tier aus einer fremden Gruppe, kommt es oft zur Paarung. Aus solchen Zufallsbekanntschaften, so nimmt man an, werden neue Staaten gebildet.

Simon Jäggi (41) ist Sänger der Rockband Kummerbuben und arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK über Tiere.

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