Stefan, der Freund meiner Mutter, meinte, er erinnere ihn an die Flagge Argentiniens. Mein neuer, hellblau-weiss gekachelter Schal. Ich hab ihn selbst gemacht, gehäkelt hab ich ihn. Seither trage ich ihn jeden Tag.
Ich fragte mich: Hab ich meine Handgelenke nun mit wochenlanger Büez für einen Lionel-Messi-Fanartikel malträtiert? Doch Stefans Kommentar minderte meine Freude am Schal nur kurz. Denn das Fabrizieren dieses meterlangen Stoffstücks war therapeutisch.
Beim Häkelprozess wurden mir meine Macken einmal mehr vor Augen geführt. Sie stehen symptomatisch für die Gen Z oder vielleicht sogar für die westliche Welt: In dieser muss man nämlich kaum mehr etwas machen. Selber machen.
Der Staubsauger saugt von allein. Netflix sucht die passenden Filme für dich raus. Das Essen bringt ein Lieferservice vor die Haustür. Und selbst die Seminararbeit schreibt mir nun eine künstliche Intelligenz. Für Alltägliches muss man kaum noch einen Finger krümmen. Und wenn doch mal ein Finger gekrümmt werden muss, wenn die App spinnt, der Strom fehlt – ui, dann werde ich aber richtig nervös. Ich wusste, da muss sich was ändern. Also startete ich mein Häkelprojekt. Ein wochenlanger Prozess.
So weit, so gut. Ich häkelte überall. Im Zug, auf dem Balkon, vor dem Schlafengehen. Und liess dabei meine Seele baumeln, konzentrierte mich aufs Hier und Jetzt, auf die Maschen. Doch schnell begann ich, nebenbei einen Podcast zu hören. Eine Serie weiterzuschauen. Geht ja gut zusammen. Und da ist sie: Macke Nummer zwei. Ständiges Multitasking, ständige Berieselung. Man könnte ja was verpassen. Bald war es mir kaum mehr möglich, mich einfach der Sache, dem Häkeln zu widmen. Wieder etwas, das sich ändern muss. Als ich den Schal dann fertig gehäkelt hatte, war ich echt happy. Strahlend trug ich ihn zur Schau und sahnte Komplimente ab. Doch irgendwie reichte mir das nicht. Ich wollte mehr. Noch mehr Anerkennung für die viele Arbeit. Ich zückte also mein Smartphone und teilte den Schal mit meiner Followerschaft. Sie merkens selber: Macke Nummer drei. Wieso reicht mir meine eigene, kleine Freude am Gehäkelten nicht? Da muss sich was ändern.
Nun hab ich einen hellblau-weiss gekachelten Schal und die Erkenntnis, dass ich meine Gen-Z-Macken mit viel Verve bekämpfen will. Und wenn mich wieder der Alltag wie ein Virus befällt und die Macken zum Vorschein kommen, dann häkle ich mir einfach eine zum Schal passende Mütze.
Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.