Haben Sie schon einmal ein Kompliment für Ihre Haare bekommen? Ich schon. Fast täglich kriege ich sie. Ist immer schön – bis mir gleich darauf an den Kopf gefasst wird. Na gut, manche fragen auch erst: «Dörf ich mal ahlange?» und fingern gleich darauf, ohne eine Antwort abzuwarten, mit ihren fettigen Händen in meinen Locken herum. Das nennt man eine rassistische Mikroaggression.
Ich weigerte mich lange, eine Kolumne über Rassismus zu schreiben. Ich mag meine Hautfarbe und bin stolz auf mein Schwarz-Sein. Es prägt mich und meine Wahrnehmung immer. Trotzdem wollte ich das nicht in den Mittelpunkt meines Schaffens stellen – oft genug werde ich im Alltag genau darauf reduziert.
Aber dann sass ich da, in einem Berner Theaterhaus. Mein Gesicht vollgerotzt und mein Herz schwer. Ich besuchte die Tanzaufführung «Perspectives» von Anna Chiedza Spörri und in der ging es genau darum: um Mikroaggressionen im Alltag schwarzer Menschen.
Der Begriff tönt niedlicher, als er ist. Oft sind es «nur» kleine Blicke, Gesten und Äusserungen – trotzdem greifen sie an und verletzen. Nicht immer, man ist ja nicht aus Porzellan. Aber immer wieder. Spörri erklärt es in ihrem Stück schön: Mit einem Mückenstich kann ich leben. Auch mit drei oder vieren. Aber kommen täglich neue dazu, wird es irgendwann unangenehm. Unausstehlich.
Es ist die schiere Menge, die tägliche Berührung mit Mikroaggressionen. Es gibt mir das Gefühl, ich sei nicht von hier. Obwohl ich dieselbe Kindheit hatte wie Lukas von nebenan. Na gut, das Essen meines Vaters war vielleicht etwas schärfer. Aber ich habe den gleichen Chindsgi besucht, dieselben Geschichten vorgelesen bekommen, die gleichen Liedli gesungen, auf demselben Bänkli das erste Mal rumgeknutscht. Mit Fragen, wie «Aber vo wo chunsch du würkli?» oder «Chasch du Schwiizertüütsch?». Mit im Zug Nicht-neben-mich-Sitzen. Mit «Wow, bist du exotisch!» Mit extra Mohrenköpfe-Servieren, wenn ich zum Znacht eingeladen bin, weil die Diskussion damals echt zu weit ging.
Viel zu oft, ja täglich, erleben schwarze Menschen solche Situationen. Während der Tanzperformance merkte ich einmal mehr, wie leid ich es bin. Wie leid ich es bin, als Fremde in meiner Heimat wahrgenommen zu werden. Wie ich mich den Mikroaggressionen nicht entziehen kann, weil sie so allgegenwärtig sind.
Und ja: Es ist nie böse gemeint. Meistens ist es sogar gut gemeint. Aber: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Diesen feinen Unterschied im Alltag nicht zu bemerken, ist ein riesiges Privileg. Darum meine Bitte: Halten Sie vor der nächsten übergriffigen Frage kurz inne, fassen Sie in keine Haare. Das wär ein Mückenstich weniger.
Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.