Kolumne «Geschichte» von Claude Cueni
Sind Wahlplakate Littering?

Nur Reiche durften im alten Rom überhaupt zur Wahl für politische Ämter antreten. Im Fall von Katastrophen und Fehlentscheiden hafteten sie dafür mit ihrem Privatvermögen.
Publiziert: 03.09.2020 um 23:17 Uhr
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Aktualisiert: 29.11.2020 um 09:41 Uhr
Kolumnist Claude Cueni vergleicht Wahlen im alten Rom mit der aktuellen Politik.
Foto: Thomas Buchwalder
Claude Cueni

Wer Wahlen gewinnen will, sollte sich in der Öffentlichkeit mit berühmten Unterstützern umgeben und es vermeiden, den Leuten mit der Wahrheit die gute Laune zu verderben. Diese Empfehlung stammt nicht etwa aus einem heutigen Strategiepapier, sondern von Quintus Cicero (102–43 v. Chr.), dem Wahlkampfmanager und Bruder des berühmten Marcus Tullius Cicero.

Wählbar waren nur Personen, die das 30. Altersjahr überschritten hatten, denn Jüngere hielt man aufgrund der fehlenden Lebenserfahrung und der altersbedingten Leichtsinnigkeit für nicht ganz zurechnungsfähig.

Bei Hungersnöten hafteten die Gewählten mit ihrem Privatvermögen

Der Eintrag in die amtlichen Bewerbungslisten kostete nach heutiger Kaufkraft ca. 15'000 Franken. Nur Reiche konnten ein Amt anstreben. Fortan mussten sie aber auch bei Hungersnöten mit ihrem Privatvermögen einspringen. Heute haftet keiner mehr persönlich, weder für fehlende Masken, zu späte Grenzschliessungen, zu frühe Lockerung des Lockdowns noch für vorsätzliche Falschinformationen.

In der römischen Republik gab es kein politisches Parteiensystem, wie wir es heute kennen, es gab auch keine Wahlprogramme. Somit waren allein Charisma, Volksnähe und die Reputation der Unterstützer ausschlaggebend. Diese liessen den Namen des Kandidaten in roter oder schwarzer Tusche auf Wandverputze malen. Diese sogenannten Wahl-Dipinti säumten Einkaufsstrassen wie heute die Wahlplakate, die in der freien Natur später den Tatbestand des Litterings erfüllen.

Gekaufte Stimmen waren genauso üblich wie heute auf den Philippinen, wo der Major einer Barangay (Gemeindepräsident) auf seinem Moped von Haus zu Haus fährt und für umgerechnet ca. vier Franken Stimmen einkauft.

Die Wahlsieger sanierten sich auf Kosten der Staatskasse

Populär waren auch Brot und Spiele, wobei diese dem Kandidaten meistens rote Zahlen bescherten, was seine Wahl erschwerte, da man zu Recht annahm, dass er sich nach einem Wahlsieg auf Staatskosten sanieren würde. Heute, wo die meisten Parteikassen leer sind, begnügt man sich mit bunten Werbegeschenken und anderen Wegwerfartikeln.

Wahlplakate haben die antiken Dipinti ersetzt. Oft werden sie beschädigt. Ironischerweise mobilisieren jene Vandalen, die kein Verständnis für Demokratie haben, die Nichtwähler der geschädigten Partei. Und auf die kommt es an.

Claude Cueni (64) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK. Soeben erschien im Verlag Nagel & Kimche sein Roman «Genesis – Pandemie aus dem Eis».


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