Claude Cueni über Mischwesen
Halb Mensch, halb Tier

Mischwesen bevölkern Mythologie und Fantasie seit Urzeiten. Nun werden sie real – als Cybride und Kampfmaschinen.
Publiziert: 06.08.2020 um 22:58 Uhr
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Aktualisiert: 03.09.2020 um 20:29 Uhr
Claude Cueni, Schriftsteller.
Foto: Thomas Buchwalder
Claude Cueni

Der Löwenmensch aus dem deutschen Lonetal war 31,1 cm gross und ca. 40'000 Jahre alt. Er war aus Mammut-Elfenbein geschnitzt und stellte einen Menschen mit dem Kopf und den Gliedmassen eines Löwen dar.

Mischwesen, sogenannte Chimären, gehören zum festen Personal der Mythologien und religiösen Fabeln. Aus dem Christentum kennen wir die geflügelten Postboten und den gehörnten Teufel mit den Bocksfüssen, aus Ägypten stammt die wohl berühmteste Chimäre: die Grosse Sphinx von Gizeh. Solche Statuen waren in zahlreichen Kulturen der Antike verbreitet. Die griechische Variante erwürgte angeblich vorbeiziehende Reisende, wenn sie das von ihr gestellte Rätsel nicht lösen konnten. Heutige Quiz-Shows sind da wesentlich humaner.

Napoleons Artillerie hat die Sphinx nicht zerstört

Auch andere Mischwesen erfreuten sich grosser Beliebtheit. Kentauren hatten menschliche Oberkörper mit Pferdeleib, Meerjungfrauen Oberkörper mit Fischunterleib. In zahlreichen Höhlenmalereien war es genau umgekehrt, da hatten die Mischwesen Tierköpfe und die Körper von Menschen.

Leider haben nicht alle die Wirren der Jahrhunderte heil überstanden. Viele wurden später von Fanatikern zerstört. Die Grosse Sphinx von Gizeh hatte im 13. Jahrhundert noch eine Nase, doch 1378 fiel sie islamistischen Bilderstürmern zum Opfer. Dass angeblich Napoleons Artillerie die Nase abgeschossen hat, ist ebenso Fake wie René Goscinnys Geschichte, wonach die Nase abgebrochen sei, als Obelix die Sphinx bestieg.

Im Design neuer Mischwesen wird China führend sein

Was früher der Fantasie der Menschen entsprang, entsteht heute in den Gen-Labors. Mit der Einpflanzung menschlicher Zellkerne in tierische Eizellen entstehen sogenannte Cybride. Als erster Staat der Welt hat Japan dem Forscher Hiromitsu Nakauchi die Genehmigung erteilt, solche Mischwesen heranreifen zu lassen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis solche Chimären auch tatsächlich ausgetragen werden. Die Technik ist bekannt, und «alles, was sich ein Mensch ausdenkt, wird eines Tages ein anderer realisieren» (Jules Verne).

China liegt im Wettrüsten mit den USA im militärischen Bereich noch zurück, im IT-Sektor herrscht Gleichstand, und im Design neuer Mischwesen wird China führend sein, denn dort tragen Wissenschaftler kaum Fesseln. Nur Dissidenten.

Claude Cueni (64) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK. Soeben ist im Verlag Nagel & Kimche sein Roman »Genesis – Pandemie aus dem Eis« erschienen.


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