Kolumne «Alles wird gut» über harte Typen und Schneeflocken
Von Dick- und Dünnhäutigen

Harte Männer fällen ein hartes Urteil über die «Generation Schneeflocke»: völlig verweichlicht, diese überempfindlichen Millennials. Dabei haben sie mit ihnen mehr gemeinsam, als ihnen lieb ist – hart für sie.
Publiziert: 06.09.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.09.2021 um 23:28 Uhr
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Der Unterschied zwischen vermeintlich harten Männern ...
Foto: Getty Images/Hero Images
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Ursula von ArxJournalistin und Buchautorin

Mag sein, dass «Generation Schneeflocke» in erster Linie ein Kampfbegriff von rechten Mackern ist. Von Mannsbildern, die ihr Selbstwertgefühl weder auf wimpernzuckende Empfindlichkeit noch auf wellenschlagende Empathie bauen. In tätowierten Schlangen, Drachen und Rosen, die über muskelstarke Oberarme klettern, sehen sie stolze Beweise für ihre dicke Haut.

Den «Schneeflocken», also den ums Jahr 2000 geborenen Millennials, unterstellen sie, für sich ein Leben in vorgewärmten Frotteetüchern zu erwarten. Diese blassen, verweichlichten, angstbesessenen, zensurwütigen Kinder in Erwachsenengestalt, die sich bei jedem Einschuss von Wirklichkeit in einen tumultösen Wackelpudding verwandeln, werden von den harten Typen nur verachtet.

Tatsächlich soll es junge Menschen geben, die es als Zumutung empfinden, wenn ihnen im Studium ein Roman wie Jenny Erpenbecks «Wörterbuch» ohne Vorwarnung zur Lektüre aufgegeben wird. Schliesslich könnten die darin geschilderten Folterszenen verstörend auf sie wirken, klagen sie. Was wünscht man solchen Menschen? Vielleicht eine dickere Haut?

Kultivieren und abtöten

Allerdings ist es mit der dicken Haut so eine Sache. Denn während die Dünnhäutigen ihre Empfindsamkeit kultivieren, sind die Dickhäutigen bestrebt, diese abzutöten. Während die Dünnhäutigen jede Gefahr meiden, verwundet zu werden, stellen sich die Dickhäutigen der Schlacht.

Verletzungen, und seien sie noch so tief, psychische wie physische, reduzieren die Dickhäutigen gern zu einer alltäglichen Lappalie. Die Vorstellung, als windelweiches Lamm zu gelten, ekelt sie so sehr, dass sie sich das Schreien verbeissen. Sie verleugnen ihre Blessuren. Überforderung, mangelnde Anerkennung, Corona-Angst, Todesangst, Liebeskummer, nichts darf ihr panzerartiges Selbstbild ritzen.

So gesehen verbindet die Verfechter von harter, traditioneller Männlichkeit und Stärke mehr, als ihnen lieb sein dürfte, mit den «Schneeflocken» unter den Millennials: Alle beide fürchten das Leiden.

Ein Leben ohne Schmerz ist kein Leben

Wer tut das nicht? Doch weder die Vermeidungs- noch die Verleugnungsstrategie sind ideal. Weil ein Leben ohne Schmerz nicht nur nicht möglich, sondern auch kein ideales ist. Keine Leidenschaft ohne Bereitschaft zu leiden.

Welcher Satz könnte sowohl die Dickhäutigen als auch die Dünnhäutigen entspannen? Vielleicht ja der: Alles wird gut.

Ursula von Arx wollte manche grosse Kränkung einfach wegstecken und hat auch schon einige Wehwechen ziemlich aufgebauscht. In beiden Fällen half ihr zuverlässig eins: darüber reden. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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