«Geschichte, jetzt!»
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt – eine Geschichte der Philanthropie

Die Historikerin Britta-Marie Schenk und der Historiker Daniel Allemann von der Universität Luzern beschreiben, wie sich die Philanthropie über die Jahrhunderte entwickelt hat. Und welche Probleme mit den Wohltaten für die Gesellschaft entstehen.
Publiziert: 25.11.2023 um 05:00 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2023 um 22:18 Uhr
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Das karitative Prinzip kam mit dem Christentum auf, schreiben die Kolumnisten. Hier Julia und Nina Meise an einer Gala für Assistenzhunde im Oktober 2023.
Foto: imago/STAR-MEDIA
Britta-Marie Schenk und Daniel Allemann

Philanthropen sind Menschenfreunde der besonderen Art: Sie spenden grosszügig, engagieren sich ehrenamtlich und all das für die Benachteiligten in der Welt und vor der Haustür. Müssen wir diesen Wohltätern nicht dankbar sein? Ein Blick in die Geschichte zeigt, warum dem nicht so ist und welche Probleme Philanthropie für die Gesellschaft mit sich bringt.

Schon Sokrates schwärmte von der «philanthropia». Dem antiken Philosophen ging es nicht um Geldgeschenke, sondern um die Weitergabe von Wissen ganz ohne Gegenleistung. Ausserhalb der Denkerstube sah es allerdings anders aus. Reiche Bürger sponserten Feste und Bauten, um sich selbst ein Denkmal zu setzen. Und sie führten damit allen vor Augen, wie gross ihr politischer und wirtschaftlicher Einfluss auf die Gesellschaft war.

Mit dem Christentum kam das schlechte Gewissen, und jetzt wurde es brenzlig. Denn nur mit einem reinen Gewissen entkam man dem Fegefeuer. Ein gutes Rezept: Spenden für die Armen – Caritas, das Gebot der Nächstenliebe. Das karitative Prinzip gilt bis heute: Die oberen Zehntausend erkaufen sich mit einer milden Gabe ein gutes Gefühl, am besten beim Benefizanlass in Smoking und Abendkleid. 

Das 19. Jahrhundert brachte mit der Industrialisierung die Massenarmut. Sie löste einen regelrechten Philanthropie-Boom aus: Reiche Fabrikbesitzer, bürgerliche Frauen und Pfarrer engagierten sich mit viel Geld und Zeit für die Verlierer der Gesellschaft: verwahrloste Kinder, ehemalige Zuchthäusler und Prostituierte. Die Wohltäter wollten aber nicht die Gesellschaft umwälzen, sondern das Individuum optimieren. Das Ideal blieb dabei die bürgerliche Gesellschaft: Mit Fleiss, Abstinenz und Sparsamkeit sollte der Mann den Lohn erwirtschaften und die Frau den Haushalt führen. So stabilisierten die Philanthropen die ungleiche kapitalistische Gesellschaft, von der sie selbst am meisten profitierten.

Ab den 1950er-Jahren gingen Spenden vor allem in die sogenannte Dritte Welt. Kirchliche Missionare betonten beim Fundraising zwar die «Schuld der weissen Völker», zementierten aber koloniales Überlegenheitsdenken: Wir helfen den Armen in Afrika, weil sie es selbst nicht können – und schwups entstanden neue Abhängigkeitsverhältnisse. Für die Spenderinnen und Spender in Europa gibts neben dem guten Gefühl bis heute auch handfeste finanzielle Vorteile: Jede Wohltat kann von den Steuern abgezogen werden, ganz gleich, wohin sie geht. 

Die richtig dicken Brocken sind aber die Stiftungen, die Geld in den sozialen Bereich buttern. Davon profitiert der Staat massiv, weil er sich nicht selbst darum kümmern muss. Das Problem: Stiftungen investieren nach ihren eigenen Visionen und Kriterien, ohne jede demokratische Grundlage.

Ebenso weit weg von demokratischen Spielregeln ist der neuste Schrei im hippen Philanthropie-Business. Hier geht es darum, ganz viel Geld zu verdienen, um möglichst viel spenden zu können. Doch die «effektiven Altruisten» – Bill Gates und Co. lassen grüssen – führen ein altes Muster weiter: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. Und die anderen haben sich danach zu richten, vor allem die Ärmsten.


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