Eine Delegation von mehreren Dutzend energischen Rentnerinnen war am Mittwoch in Strassburg (F) bei der Anhörung der «Klimaseniorinnen» vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die Klimaseniorinnen haben eine Klage gegen die Schweizer Regierung eingereicht, weil sie nicht genug unternimmt, um unseren CO2-Fussabdruck zu reduzieren. Ältere Frauen sind besonders betroffen, da sie bei Hitzewellen am stärksten gefährdet sind. Etwa ein Drittel der Todesfälle bei Hitzewellen in der Schweiz kann auf die menschlichen Treibhausgasemissionen zurückgeführt werden.
Das Urteil wird erst in einigen Monaten bekannt gegeben. Der EGMR nimmt diesen Fall jedoch ernst und hat ihn seiner Grossen Kammer zugewiesen. Zusammen mit meinem ETH- und IPCC-Kollegen Andreas Fischlin waren wir in Strassburg, um bei der Anhörung dabei zu sein, da wir eine der 23 Drittparteieneingaben vor Gericht beigesteuert haben, wie dies auch andere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Personen und Institutionen taten. In unserem schriftlichen Beitrag fassten wir die Ergebnisse des jüngsten IPCC-Berichts zusammen, aus denen eindeutig hervorgeht, dass 1. jede zusätzliche CO2-Emission zu mehr globaler Erwärmung führt, 2. die Häufigkeit und Intensität extrem heisser Tage und Hitzewellen mit jedem Anstieg der globalen Temperatur zunimmt und dass 3. damit die Gesundheitsgefahren, insbesondere für ältere Frauen, ansteigen. Darüber hinaus haben wir auch aufgezeigt, dass die Schweiz weniger ehrgeizige Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen hat als ihre europäischen Nachbarn mit vergleichbarem Entwicklungsstand.
Es ist bedauerlich, dass wir an diesem Punkt angelangt sind. Aber es ist zu hoffen, dass die Klimaklage der Klimaseniorinnen dazu beiträgt, die Klimaschutzmassnahmen der Schweizer Regierung voranzutreiben. Obwohl viele Städte und Kantone ehrgeizige Massnahmen zur Senkung unserer Treibhausgasemissionen eingeführt haben, haben wir noch keine landesweite Gesetzgebung. Diese würde es uns ermöglichen, unsere Gesellschaft in dem Tempo zu dekarbonisieren, das notwendig ist, um die globale Erwärmung auf 1,5 C zu begrenzen. So wie es im Pariser Abkommen vorgesehen ist, das die Schweiz ja ratifiziert hat.
Unabhängig von allen rechtlichen Erwägungen war es vorwiegend der Mut und die Energie der Klimaseniorinnen, die mich in Strassburg am meisten beeindruckten. Die rund siebzig Frauen im fortgeschrittenen Alter strahlten nicht nur gute Laune, sondern auch Verantwortungsbewusstsein aus. Sie engagieren sich für ihren Alltag und ihre Zukunft, aber auch aus Solidarität mit der Schweizer Gesellschaft und den jüngeren Generationen. Mut, Energie und generationenübergreifende Solidarität scheinen mir Werte zu sein, die der Schweiz gut anstehen. Vielleicht Werte für eine neue Vision der Schweiz, jenseits von Schokolade und Boni.
Und wer weiss, ob wir in ein paar Jahren neben den Statuen von Wilhelm Tell, Alfred Escher, Henry Dunant und anderen Schweizer Helden ein neues Denkmal in der Schweiz haben werden, das der Klimaseniorinnen.