Claude Cueni über Cancel Culture
Gilt Diversität auch bei Meinungen?

Die Akzeptanz gegenüber anderer Meinungen sinkt. Besonders die sonst so tolerante Linke hat Mühe bei Ansichten, die nicht den eigenen entsprechen. Das hat nichts mehr mit Demokratie zu tun, schreibt Claude Cueni.
Publiziert: 24.11.2023 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2023 um 22:34 Uhr
Ohne Toleranz gegenüber anderen Meinungen ist Demokratie nicht möglich.
Foto: SRF/Oscar Alessio
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Claude CueniSchriftsteller

«Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich würde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es sagen zu dürfen.» Der Satz stammt nicht von Voltaire, sondern von der englischen Schriftstellerin Evelyn Hall (1868–1956), die in ihrem Buch «The Life of Voltaire» (Das Leben von Voltaire) den Satz niederschrieb. Sie hat dabei nicht Voltaire zitiert, sondern seine Denkweise wiedergegeben. 

George Orwell (1903–1950) formulierte es später so: «Meinungsfreiheit bedeutet, Dinge zu sagen, die niemand hören will.» Das gilt auch für Unanständiges, das ist der Preis für Meinungsfreiheit, das muss man aushalten. Für Strafbares sind die Gerichte zuständig und nicht der Mob mit der grössten medialen Unterstützung.

Jeder Wimpernaufschlag wird mittlerweile politisch gedeutet, die Welt, ein einziges Fettnäpfchen. Man lebt im permanenten Duell-Modus. Noch bevor der politische Gegner den Mund aufmacht, zieht man blank. Man ist entweder Pro oder Kontra, jeder verharrt in seiner Trutzburg, man verteidigt Liebgewonnenes wie die Konservativen von einst.

Vielen fällt schwer zu akzeptieren, dass Diversität auch bei Meinungen gilt. Die Kita-Abteilung der SP (18 % Wähleranteil) glaubt, dass die SVP (27 %) keine Daseinsberechtigung hat. Sie schliesst ihr Positionspapier vom 24. September 2023 mit den Worten: «Die Schweiz hat keinen Platz für die SVP. Die SVP muss weg.» Und dann sind FDP und Mitte fällig? Das ist die Denkweise von Staaten wie China, Kuba, Nordkorea, Eritrea und anderen Diktaturen. Was für ein unreifes Demokratieverständnis! Sowohl SP als auch SVP sind für eine funktionierende Demokratie wichtig, weil beide einen Grossteil der Stimmberechtigten vertreten. 

Eine Studie über die Polarisierung in Europa kommt zum Schluss, dass Menschen, die «links, urban und gebildet» sind, am meisten Mühe haben, andere Meinungen zu akzeptieren. Das ist nicht neu. Neu ist, dass es dazu eine Studie gibt.

Wer Diversität ernst nimmt, ist nach allen Richtungen offen. Unabhängig von Hautfarbe, sexueller Orientierung und politischer Gesinnung. Wer nur mit seinesgleichen verkehrt, hört nur, was er schon weiss. Man wünscht sich mehr Gelassenheit und Humor. Ein Demokrat, der eine andere Meinung hat, ist kein Feind.

Claude Cueni (67) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im Blick. Zuletzt erschien sein Thriller «Dirty Talking». 

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