Hand aufs Herz, was war zuletzt im virtuellen Einkaufskorb? Ein federleichtes Carbon-Fahrrad mattgrün, eine schmeichelnde Selfie-Ringlampe, Homewear, um wie Influencer schick zu Hause rumzuhängen, oder doch ein Bildschirm als ergonomischeres Fenster zur Welt der Versuchungen?
Dieses Jahr habe ich mehr Herzen an Sachen verteilt als Herzliches an Menschen. Das liegt nicht nur daran, dass ich dieses Jahr weniger Menschen als üblich getroffen habe. Das liegt auch daran, dass auf den grössten digitalen Treffpunkten unserer Zeit immer weniger das Soziale, sondern der Sales dominiert. Das Corona-Jahr 2020 ist auch das Jahr, in dem die mächtige soziale Medienplattform Instagram das Herz-Symbol durch eine Einkaufstüte ersetzt hat. Ein kleiner Tausch mit grosser Symbolkraft.
Die Pandemie hat Menschen zwangsweise in Scharen in digitale Kaufhäuser getrieben. Eine willkommene Herde an Versuchskaninchen, die Big Tech nun mit Sales Countdowns, Werbemails, Angeboten und «nur noch eins auf Lager» bombardieren kann – Black Friday das ganze Jahr. Das Fiese am personalisierten Werben: Es funktioniert immer besser. Die Algorithmen sorgen immer ausgeklügelter für Kauflust. Was lässt Menschen den KaufKnopf drücken? Besonders gut wissen das nicht nur die herkömmlichen Daten sammelnden Shopping-Plattformen wie Amazon, sondern soziale Netzwerke wie Facebook. Sie beeinflussen längst, was wir sein und haben wollen. Und sie wissen: Menschen lassen sich besonders gern von Menschen was verkaufen. 130 Millionen Nutzerinnen und Nutzer klicken pro Monat auf die Shopping-Posts der Instagram-Influencer.
Pandemie-Scrollen
Aus Langeweile kaufen sich immer mehr Menschen flüchtige Glücksmomente, gerade auch mit Produkten, die einen höheren sozialen Status symbolisieren. Materialismus als vermeintlicher Trost. Psychologen konnten nachweisen, dass Vielshopper eher zu Depressionen, Angstzuständen und tieferem Selbstbewusstsein neigen. Marketingstrategien nutzen die Unsicherheiten des isolierten und einsamen Menschen, der mit einem Kauf sein Leben zu verbessern hofft.
Auch ich habe mich ertappt, wie ich nachts durch die virtuellen Kaufhäuser und Shopping-Clubs streune und in eine Welt unnützer Dinge abtauche. Auch aus Müdigkeit nach endlosen Zoom-Calls, zum Trost, weil ich meine Freunde vermisse, zur Beruhigung, weil die wirtschaftlichen Aussichten unsicher sind.
Wenn etwas gut lief dieses Jahr, dann war das Onlineshopping. Die virtuellen Warenhäuser melden Rekordumsätze. Auch die Suchanfragen nach «jetzt kaufen, später zahlen» sind explodiert.
Schuldenfalle Instagram und Onlineshops?
Das schwedische Start-up Klarna ist die Lösung für solche bestellfreudigen Spätzahler. Besonders Millennials lieben sie. Schafft es die Konsumentin nicht, pünktlich zu bezahlen, kann sie mit einem Wisch bequem auf Raten umschalten. Das geht so kinderleicht, dass man das Bezahlen gar nicht mehr merkt und den Kauf keinesfalls abbricht. Ratenzahlung geht natürlich auch powered by Paypal oder Amazon.
Die oft teuren Verzugszinsen sind dann weniger bequem. Die Gefahr einer Verschuldung hoch. Da war also die Pandemie, und die Technologie-Giganten waren mit dem Trostsystem Onlineshopping zur Stelle. Das Ausmass dieser neuen privaten Verschuldungskrise werden wir hingegen erst später erfassen – auf Raten sozusagen. #aufbruch
Patrizia Laeri (42) ist Wirtschaftsjournalistin des Jahres und TopVoice LinkedIn DACH. Sie ist Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.