#aufbruch mit Patrizia Laeri
Lügen wir uns nichts vor

Der Kampf gegen Fake News ist trotz vieler Anstrengungen bisher ziemlich erfolglos geblieben. Doch für demokratische Gesellschaften ist es lebenswichtig, das gigantische Problem in den Griff zu bekommen. Ein neuer Vorschlag macht Hoffnung.
Publiziert: 14.10.2020 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2020 um 22:15 Uhr
Kolumnistin Patrizia Laeri.
Foto: Thomas Buchwalder
Patrizia Laeri

Ich bin schwanger, habe mich scheiden lassen, und mein Haus ist abgebrannt. Diese Schlagzeilen hat mein Jüngster erfunden. Im Dorf verbreiten sich seine Geschichten rasend schnell. Fake News verbreiten sich sechsmal schneller als wahre Begebenheiten. Das hat der kleine Geschichtenerfinder schnell begriffen.

Natürlich hält sich der Schaden dieser kindlichen Fantasterei in Grenzen. Erwachsene Lügen aber können brandgefährlich sein. Corona ist auch ein Superspreader für Lügen. Mit realen Folgen. Menschen glauben, dass 5G Corona erzeuge, sprengen irrgläubig Masten oder trinken Bleichmittel dagegen. Die Infodemie, also das Lügen im grossen Stil, manipuliert Wählerinnen, die Gesellschaft und gefährdet Demokratien. Das ist nicht neu – irreführende Propaganda hat seit jeher geholfen, Menschen zu verängstigen, zu unterdrücken und gegeneinander aufzuhetzen.

Mit sozialen Medien und enormen Datenschätzen gelingt dies nun rasanter und wirksamer. Auf Druck der Öffentlichkeit und Politik haben Plattform-Giganten begonnen, da und dort einen präsidialen Tweet zu zensieren oder ein paar Fakten-Checker auf Facebook-Posts anzusetzen.

Bisher ziemlich erfolglos. Sowohl künstliche Intelligenz wie auch Tech-Konzerne und Regulatoren wirken heillos überfordert mit der digitalen Lügerei. Zumal die Algorithmen uns vor allem das anzeigen, was uns zum Kommentieren verleitet – auch wenn diese Inhalte nicht der Wahrheit entsprechen. Das Grundgerüst ist morsch. Das Grundgerüst ist auf Nutzer-Beteiligung programmiert und nicht auf Demokratie-Werte.

Gehackte Demokratie

Es ist deshalb höchste Zeit für einen weltumspannenden Ansatz gegen Fake News. Der neuste aufsehenerregende Wurf stammt von einer Europäerin im Silicon Valley, von Marietje Schaake. Dazu aber später.

Es ist ja nicht so, dass bisher nichts unternommen wurde gegen Falschinformationen im Netz. Deutschland zwingt soziale Medien, Unwahrheiten zu löschen. Nichtregierungsorganisationen decken Verschwörungstheorien auf, Medien reagieren mit Faktenchecks. Grosse Hoffnungen lagen auch auf der fälschungssicheren Blockchain-Technologie, die Nachrichten bis hin zur Quelle verifizieren und damit Lügen entlarven kann. Viele Start-ups sind aber bereits wieder eingestampft. Immerhin, die «New York Times» beispielsweise verfolgt den Ansatz weiter. Zumindest was die Echtheit von Bildern angeht, scheint sie auf einem guten Weg.

Was tun? Lügenfreie Netzwerke?

Auch andere Anläufe aus der Wirtschaft klingen interessant. Das Tech-Start-up Telepath will das gute Twitter werden. Diesem neuen sozialen Netzwerk kann nur beitreten, wer sich zum freundlichen Umgangston bekennt. Es soll frei sein von Hass, Belästigung, aber vor allem auch frei von Fake News. Diese Ziele in Ehren, aber sie scheinen hoch gegriffen, und auch hier könnte ein neues digitales Silo entstehen, in dem sich nur Gleichgesinnte treffen und das in diesem Sinne digitale Gräben fördert. Auf dem Miteinander und nicht Gegeneinander aber fusst unsere Demokratie.

Genau diese sieht Marietje Schaake ernstlich gefährdet. Die Holländerin führt das Zentrum für Cyberpolitik an der amerikanischen Universität Stanford. Sie ist sich sehr wohl bewusst, dass Desinformation eine Kriegstaktik ist und wir den derzeitigen digitalen Informationskrieg verlieren könnten.

Digital zusammenspannen

Auch weil Demokratien die Macht in der digitalen Welt Privaten überlassen haben. Schaake zeigt in der «MIT Technology Review» aktuell glasklar auf, dass autokratische Staaten digital führen und die Spielregeln bestimmen, während demokratische Länder sich digital dirigieren lassen – von ein paar Technologie-Managern. Dagegen helfe nur eine demokratische Allianz. Sie schlägt vor, dass die 2000 gegründete demokratische Gemeinschaft digitale, globale Regeln zur Meinungsfreiheit auf Social Media oder Standards für politische Werbung setzt, aber vor allem mit demokratischen Prinzipien Technologie steuert.

Es ist ein Paukenschlag mit Potenzial. Schaake hat Einfluss. Nicht umsonst hat das «Wall Street Journal» sie als bestvernetzte Politikerin Europas bezeichnet. Sie bestimmte die digitale Agenda der EU jahrelang mit und betreibt nun Technologie-Politik in den USA, der grössten Demokratie der Welt.

Mein Sohn hat inzwischen übrigens eingesehen, dass das Miteinander wichtig ist und man mit Unwahrheiten keine Freunde findet. #aufbruch

Patrizia Laeri (42) ist Wirtschaftsjournalistin des Jahres und TopVoice LinkedIn DACH. Sie ist Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.


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