#aufbruch mit Patrizia Laeri
Corona spaltet die Gesellschaft

Was ist das optimale Mass an Ungleichheit? Und wie lässt es sich erreichen? Entweder Arme reicher oder Reiche ärmer machen? Klar ist: Corona wird die Kritik an der Elite verstärken.
Publiziert: 28.10.2020 um 00:34 Uhr
|
Aktualisiert: 05.01.2021 um 19:54 Uhr
Kolumnistin Patrizia Laeri.
Foto: Thomas Buchwalder

Die Corona-Krise zeigt an wenigen Orten so deutlich ihre zwei Gesichter wie dieser Tage in Zürich. Am Limmatplatz stehen Arme stundenlang für eine Tüte mit Grundnahrungsmitteln an, eine zehnminütige Tramfahrt weiter, am Paradeplatz, verkünden Spitzenberater der Superreichen wie UBS-Chef Sergio Ermotti derzeit, dass Corona nicht nur die Reichen noch reicher gemacht habe, sondern auch ihre Banker. Anders formuliert: Die wegen der Pandemie zunehmende Ungleichheit lässt sich nun auch an den Bilanzen der Schweizer Banken ablesen. Ihre Kunden seien nämlich an den Märkten investiert geblieben, erklärte Ermotti triumphierend und freute sich über das beste Quartal seit einem Jahrzehnt. Derweil verlieren vor allem Junge, Frauen und Menschen mit tiefen Löhnen ihren Job, und der Internationale Währungsfonds rechnet vor, dass Corona dieses Jahr mehr als
90 Millionen Menschen in die Armut treiben wird .

Millennial-Hausse statt Dienstmädchen-Hausse

Natürlich wurde die betuchte Kundschaft auch beraten, zur Sicherheit und Streuung der Risiken beispielsweise Gold zu kaufen. Auch diese Strategie ging auf. So teuer wie dieses Jahr war das Edelmetall noch nie. Aber noch etwas treibt die Märkte und Aktien-Portefeuilles der Vermögenden in die Höhe: Neobanken und frische Trading-Plattformen wie Robinhood locken massenweise Millennials in die Märkte, die oft auch hochspekulative Optionsgeschäfte tätigen – und das am liebsten auf Pump. Die Apps nutzen alle Tricks der Game-Industrie, und das äusserst erfolgreich: Statt Fortnite haben Hunderttausende junger Menschen im Lockdown Börse gespielt. Diese auf TikTok und Youtube angestachelten Erst-Investierer haben keinerlei Erfahrung an den Börsen und auch keine Absicherungsstrategie wie die Wohlhabenden. Leider zeigt die Geschichte, dass am Ende von Aktienmarkt-Booms auch noch die ganz Unerfahrenen einsteigen. Früher als Dienstmädchen-Hausse bekannt, heute wohl eher die Millennial-Hausse. Das könnte für viele der verschuldeten Neuzocker traurig enden und die finanzielle Ungleichheit zwischen den Generationen noch verstärken. Die finanzmarkterfahrenen Superreichen sind derweil umfassend beraten und abgesichert.

Ruf nach mehr Steuergerechtigkeit

Natürlich lehrt die Geschichte auch, dass zu grosse Unterschiede zwischen oben und unten nie gut enden. Was also ist das optimale Mass an Ungleichheit? Und wie lässt es sich erreichen? Entweder Arme reicher oder Reiche ärmer machen? Klar ist: Corona wird die Kritik an der Elite verstärken. Den Ruf nach Steuergerechtigkeit ebenso. Sowohl in den USA als auch in der EU sind Vorschläge auf dem Tisch, welche das Handeln mit Wertpapieren besteuern wollen. Eine globale Finanztransaktionssteuer soll die Armut weltweit bekämpfen. Aber auch die Erbschaftssteuer oder Steuerpraktiken von Konzernen stehen zur Debatte. Die Schweiz ist international bereits unter Druck. Auf dem globalen Steueroasen-Ranking hält die Eidgenossenschaft immer noch einen unrühmlichen Spitzenplatz. Immer mehr setzt sich auch auf internationaler Ebene die Ansicht durch, dass die exzessive Steueroptimierung der Privilegierten Diebstahl ist, welcher dem Gemeinwesen Geld entzieht. Je nach Schätzung ist das durch eine ganze Finanzberaterindustrie versteckte Geld zwischen 8 bis 30 Billionen Dollar wert. Gigasummen, die Millionen Leben retten und Kinder aus der Armut befreien könnten – auch die Familien in der Schlange am Limmatplatz. #aufbruch

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?