Frank A. Meyer – die Kolumne
Von Sündern und Priestern

Publiziert: 21.05.2023 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 05.06.2023 um 08:41 Uhr
Foto: Antje Berghaeuser
Frank A. Meyer

Was ist das Auto? Auf Griechisch bedeutet Auto «selbst». Also steht das Auto für das «Selbst». Das Ich.

Absonderlich, wenn man’s bedenkt: ein Gefährt als Substitution der ­Person. So erleben es nicht nur ­Autonarren, die ihr fahrendes Ich hoch­tunen, es rasend und röhrend machen – zum Untier stilisieren.

Dem Alltagsbürger dient das Auto auch ohne AMG-Speed zur Er­weiterung seiner selbst. Zum Wegfahren, wann und wohin er will – zu nütz­lichen Zwecken. Oder einfach zum Spass.

Welcher Begriff passt dazu am ­besten?

Freiheit.

Doch das Fahrzeug der Freiheit ist ­gefährdet. Die Erwärmung des ­Klimas macht seine Abgase zum Skandal – und den Fahrer zum ­Täter. Die Freiheit der motorisierten Fortbewegung bedeutet plötzlich Freiheit mit schlechtem Gewissen.

Wer nicht sündigen will, fährt Fahrrad, wenn nicht gar Lastenfahrrad – sündenstolze Selbstkasteiung, wenns bergauf geht oder wenn die Kinder vorne drinsitzen. Überhaupt ist das Fahrrad ein mechanisches Bekenntnis: Die Welt steht gerade vor dem Untergang – dagegen ­treten und strampeln wir an.

Wir Guten und Grünen.

Wer wagte da noch Widerspruch? Der Klima-Klerus ist streng. Er ­erzieht, verbietet und gebietet, von der Ächtung des Ver­­­brennungs­motors über das 30-Stundenkilometer-Limit in Städten bis zur Liquidation der Parkplätze. Dem Autofahrer wird sein zweites Selbst ausgetrieben. Sogar 60 Stundenkilometer auf der Autobahn werden schon prophezeit.

Dabei lebte es sich bisher ganz wunderbar auf den vier Rädern, dieser Lösung für so viele Probleme von früh bis spät: rasch zum Einkaufen fahren oder ins Lieblingscafé in der City oder die Kinder zur Schule bringen oder am Wochenende der Enge im trostlosen Aussenquartier entfliehen, über Land fahren, ins verlängerte Wochenende, irgendwohin in die Natur, mit der ganzen Familie auf Ferienreise in den Süden.

Das Auto als Erleichterung lästiger Pflicht, als Erfüllung lustvoller Sehnsucht.

Geht es allein ums Klima? Die Ächtung des Autos ist ja nur der ­Anfang. Es soll nun auch nicht länger einfach geheizt werden, sondern nach Vorschrift und mit der vorgeschriebenen Technik. Ferner soll das Fleischessen Gewissensbisse bewirken, Bissen für Bissen. Ganz zu schweigen vom Flug nach Mallorca, um im Winter Sonne zu ­tanken – ein Vergehen an der Natur.

Die Gesellschaft wird zurückgebaut: hinter die Freiheiten, die sich ihre fleissige Bürgerschaft bisher leisten konnte – leisten durfte.

Dekretiert werden die Dogmen von einer akademischen Elite, die sich im Besitz der Wahrheit wähnt, von Wissenschaftlern, deren Weis­sagungen der Weltrettung gewidmet sind – und damit tabu gegen Ein­wände und Differenzierungen von ausserhalb des überkandidelten Klima-Katechismus.

Es ist eine europaweite, vor allem eine westliche Szene, die das ­Klimathema gekapert hat: wohl­bestallt in Universitäten, ­Kirchen, NGOs, ­Verwaltung und Medien – an all den privile­gierten ­Arbeitsplätzen, wo die «Work-­ Life-­Balance» das umwelt­gemütliche Fahrrad zulässt, weil sich der Einsatz des Autos er­übrigt. Ausschlafen statt Arbeitshektik.

Mit Verachtung – und verärgert – blickt diese erhabene Priesterschaft in den Maschinenraum der modernen Wirtschafts- welt: in den Motor des Wohlstandes, den Kapitalismus.

Ja, der religiös aufgeladene Kulturkampf dieser Tage ist ein ­Machtkampf: Wer den produzierenden, den Werte schaffenden ­Kapitalismus überwindet, ist der Sieger der Geschichte, wie der dialektische Materialismus einst verkündete.

Die Revolution sah rot. Heute sieht sie grün.

Wer hat morgen die Macht: die Kinder, die den Wohlstand nicht zu schätzen wissen, weil sie mitten in dessen Überfülle herangewachsen sind? Man frage den Fisch, was Wasser ist.

Oder die Bürgerinnen und Bürger, die sich von Kindesbeinen an ihrer materiellen Einschränkung bewusst sind – und die ihr privates Leben einfach so gut wie möglich gestalten möchten, unter anderem mithilfe des bösen Utensils namens Auto?

Eine neue feudale Kaste, finanziert vor allem aus öffentlichen Töpfen, erhebt Anspruch auf die Führung der Gesellschaft.

Zurück in vorsäkulare Zeiten.

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