Frank A. Meyer – die Kolumne
Bitte beten

Publiziert: 09.04.2023 um 00:34 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2023 um 16:46 Uhr
Frank A. Meyer

Nein, Sergio Ermotti ist kein Erlöser, auch wenn die Schweiz darauf besteht, ihre geheiligte Souveränität in einem nationalen Money-Messias verkörpert zu sehen.

Sergio Ermotti ist einfach Sergio Ermotti: der Tessiner, dessen jugendlichen Charme auch Altersfalten nicht zum Verschwinden bringen – ein Frauenschwarm schon immer, nun auch noch tragischer Held des Dramas UBS/CS.

Im Übrigen ist Ermotti gelernter Bankkaufmann, also von Grund auf Bank-Fachmann: Sein Weg führte ihn vom Lehrling zum Investmentbanker, dann von 2011 bis 2020 zum CEO der UBS, schliesslich in die Rolle eines Zukunftsstrategen ebendieser UBS inklusive CS.

Die gerade noch abgewendete Katastrophe soll ein Happy End haben: mit und durch den Mann aus Lugano. Allerdings kann man auch einen Spitzenbanker masslos überfordern.

Sergio Ermotti ist das Versprechen, das sich die Schweiz gegeben hat:

Alles kommt gut.

Genau dieser Hoffnungsseufzer bildet das Versprechen des Bankgeschäfts – seine Essenz. Wenns nicht gut kommt, kommts wie mit der CS.

Auch die Ursubstanz dieses Geschäfts ist ein Versprechen: das Geld. Hundert Franken sind hundert Franken: versprochen! Also das, was man mit hundert Franken kaufen kann. Die Banknote ist nichts als eine Behauptung, eine berührbare, haptisch erfahrbare, irgendwie ins Konkrete verwandelte Abstraktion – ein Paradox. Erst wenn der Geldschein sich in ein Gut verwandelt, ist er mehr als ein Stück Papier.

Genau dies gilt auch für die Kreditkarte, ja für Kredite überhaupt, dieses Grundgeschäft aller Geldhäuser. Nichts als Versprechen, begleitet von der Beteuerung: Alles kommt gut.

Und alle glauben daran, weil sie müssen: weil sich die vielgestaltige Versprecherei in nichts auflösen würde, wenn Kreditnehmer, Anleger, Aktionäre, Spekulanten plötzlich nicht mehr daran glauben. Wer den Glauben verliert, zerstört die Ordnung.

So gesehen ist Ermotti die Verkörperung des kapitalistischen Heilsversprechens. Seine Gläubigen glauben an die UBS. Vom Glauben an die CS sind sie abgefallen. Der gebenedeite Sergio nimmt ihre Schulden auf sich. Freilich getragen von Staat und Nationalbank – vulgo: vom Volk. Aber immerhin.
Ein Spass wird es nicht. Überhaupt ist das Bankgeschäft kein Spass. Denn was hat der Banker geleistet, wenn er abends nach Hause kommt? Er hat Geld versprochen – in der Regel mehr Geld, zumindest gleich viel.

Das höchste der Bankergefühle.

Was hat dagegen ein produzierender Patron vorzuweisen? Eine Maschine, neu konstruiert; oder einen Impfstoff, genial entwickelt; oder Pralinen, meisterhaft zubereitet; oder eine Uhr, mit feinstem Laufwerk ausgestattet; oder eine Handtasche, Ausdruck dessen, was gerade angesagt ist.

Für Geld jedoch, dieses An-und-für-sich-Nichts, braucht es eine kompensatorische Befriedigung:

Macht!

Macht über wirtschaftliches Geschehen, über das Wohl und Wehe von Unternehmen, Macht über die Volkswirtschaft – und damit Macht über die Politik. Das ist die Lustbarkeit des Geldgeschäfts.

Sergio Ermotti scheint von dieser Banker-Hybris bisher nicht befallen. Deshalb ist die UBS heute Retterin der CS – und wieder in den treuen Händen von Sergio Ermotti.

Ist der Tessiner womöglich gar kein Banker mehr, sondern schon ein Banquier?

Einst, bis in die Siebzigerjahre, walteten Patrons über das Bankgeschäft. Die produzierende Wirtschaft, die wertschöpfende Wirtschaft benötigte Kreditanstalten als Dienstleister – das Geld stand im Dienste der Fabrikanten, die Fabrikanten waren die Herren der Banken. Zum Beispiel Alfred Escher, der vor 167 Jahren die Schweizerische Kreditanstalt (SKA) gründete, die später zu Credit Suisse wurde.

Doch das Geldgeschäft um der Produktion willen hat sich gewandelt: in Geldgeschäfte um des Geldes willen, zum Beispiel per Investmentbanking. Aus den Dienern wurden Herren: Geldmanager amerikanischer Kultur, Spekulanten, vor allem bedacht auf den eigenen Gewinn, unter Inkaufnahme unsäglicher Risiken für ihre Kunden – wenn nur die Boni-Kasse klingelt.

CS eben.

Möge der Schweiz in Sergio Ermotti ein Banquier erwachsen. Vielleicht der letzte an der Spitze einer global operierenden Grossbank. Wer betet mit? Es ist Ostern.

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