Es ist so weit. Nach 175 Jahren: Der 12. September soll zum Nationalfeiertag erhoben werden, zum höchsten weltlichen Festtag des Landes. Gefeiert würde – wenns denn dazu kommt – die Annahme der vom Freisinn geprägten neuen Bundesverfassung durch die Mehrheit der Kantone im Jahr 1848.
Gefeiert würde damit endlich die Gründung des Bundesstaates, wie er bis heute gilt und gelebt wird: die grosse Revolution der kleinen Schweiz im riesigen Fürsten- und Monarchen-Europa – zum Entsetzen der Fürsten und Monarchen.
Gleichzeitig bedeutete der Beschluss der Tagsatzung das Ende der alten Eidgenossenschaft. Auch die war eine Freiheitsschweiz – frei von fremden Mächten. Die freisinnige Schweiz von 1848 ist seither die Freiheitsschweiz im Innern – durch Demokratie und Rechtsstaat.
Die Schweiz von 1291, wie sie am 1. August noch immer gefeiert wird, war bestimmt von Feudalstrukturen, von Patriziern und Privilegierten, von Vons und Des, von alten Familien und Standeseliten. Die 1848er-Schweiz hingegen ist beherrscht vom Geist der Gleichheit: von gleichen und freien Bürgerinnen und Bürgern.
Selbstverständlich stehen die Heutigen auf den Schultern der Alten. So geht nun mal Geschichte. Ebenso selbstverständlich sind Mythen nun mal Mythen. Zum Beispiel das Gründungsgeschehen vom 1. August mitsamt Rütlischwur und Wilhelm Tell – zur Weltliteratur erhoben durch den Geschichtsdichter Friedrich Schiller.
Für die Schweiz des 21. Jahrhunderts taugt diese Erzählung nicht.
Die Story, mit der sich die moderne, die heutige Schweiz in die Global History einschreibt, erzählt von Forschung und Technik und Wirtschaft und Unternehmertum und Wettbewerbsgeist, von den Fähigkeiten fleissiger Citoyennes und Citoyens. All diese global bewunderten Qualitäten sind nicht zu trennen von der Freiheit, in der sie sich zu Spitzenleistungen verdichten.
Und auch nicht vom Freisinn – um das schönste Wort aufgeklärter politischer Kultur noch einmal genussvoll auszusprechen.
Ausgerechnet der Freisinn aber will den neuen Nationalfeiertag am 12. September nicht – dabei wäre es vor allem sein Nationalfeiertag. Die Gründerpartei des Bundesstaates ist erschöpft: durch Interessenpolitik und Klein-Klein und Vereinshuberei in tagespolitischen Niederungen.
Der FDP fehlt, was noch zu Zeiten ihres Fraktionschefs, des Wirtschaftsführers Ulrich Bremi galt: das Bewusstsein, dass kulturelle und geistige Werte so wichtig sind wie wirtschaftliche Werte. Der Zürcher Nationalratspräsident liess 1991 zur 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft im Saal der Bundesversammlung Friedrich Dürrenmatts Komödie «Herkules und der Stall des Augias» aufführen – als selbstkritischer Spiegel der Schweiz.
Was bedeutet Freisinn heute noch? Die Schweiz ist sozialdemokratisch und christlichdemokratisch und grünliberal. Oder, wie der grosse Poet und Sozialdemokrat Peter Bichsel einst bekannte: «Eigentlich sind wir alle freisinnig.»
Die Partei mit diesem Namen braucht es dazu nicht.