Die Frage «Wie geht es dir?» hat sich aus dem Staub gemacht. Gut, eine ehrliche Antwort hat da ja sowieso nie jemand erwartet. Oder wie oft haben Sie dem Fragenden gesagt, wie Sie sich gerade wirklich fühlen? Was Sie belastet? «Ich habe gerade einen fürchterlich juckenden Scheidenpilz», war wohl selten die Antwort. Eher: «Alles bestens.»
Jetzt hat man eine andere Begrüssungsfloskel gefunden: «Bist du geimpft?» Das Impfen wurde zum neuen Smalltalkthema. Es folgt die Frage: Ob man schon doppelt gepikst ist, um dann zu fragen: «Und hattest du Nebenwirkungen?» Von «Ich hatte einen schweren Arm» über «Mich hats voll zusammengestrichen mit Fieber und Schüttelfrost» bis zu «Ich habe gar nichts gemerkt» reicht das Spektrum der Antworten. Und dann fragt sich in den letzten Wochen auch noch jeder: Wo wird die Pikserei jetzt festgehalten?
Ein Freund von mir wusste die Antwort. Er hatte eine Einladung gemacht, nur geimpft oder getestet durfte man erscheinen. Als natürlich (!) das Thema Impfen aufkam, verschwand er und kehrte mit einem Impfbüchlein zurück. Stolz breitete er es auf dem Tisch aus. Also er faltete es auf. Es waren nämlich mehrere Seiten. Das Papier war schon brüchig, es erinnerte mich an den vergilbten Führerschein meines Grossvaters.
Der Freund begleitete die Vorführung mit dem Satz: «Hier drin ist mein Leben.» Ausgestellt von der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Jahr 1970. Jede Impfung der letzten fünfzig Jahre war aufgelistet. Erst von Hand, dann mit Stempeln. Polio (Kinderlähmung), Hepatitis, Tollwut, Diphtherie, Starrkrampf (Tetanus) und Keuchhusten (Pertussis) – alles in einem Dokument. Wir schüttelten den Kopf, ungläubig, dass dieses Dokument über so lange Zeit überlebte. Und dann sahen wir den letzten Eintrag. Ein Kleber. Covid 19, Vaccine Moderna. Zwei Mal. Es steht schwarz auf weiss. Bei «Bist du geimpft?» kann man nicht schummeln wie bei der Frage «Wie geht es dir?». «Alles bestens.» («Ausser dem Scheidenpilz.»)
