Ex-BAG-Vizedirektor fordert Pandemiezentrum
Was jetzt zu tun ist

Corona hat gezeigt: Die Bevölkerung hat ein Anrecht darauf, von höchster Stelle umfänglich informiert zu werden. Im Hinblick auf künftige Krisen besteht Verbesserungsbedarf. Es war bestimmt nicht die letzte.
Publiziert: 26.02.2023 um 18:35 Uhr
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Corona hat gezeigt: In einer Krise sind Kommunikation und Geschwindigkeit zentral.
Foto: picture alliance / Zoonar
*Hans Rudolf Olpe und Bertino Somaini

Die Covid-19-Jahrhundertpandemie war möglicherweise nicht die grösste Pandemie, denn das Vogelgrippevirus (H5N1) breitet sich gerade weltweit aus und ist auch schon auf andere Tiere, etwa auf Nerze und Robben, übergesprungen. Die Direktorin des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI), Barbara Wieland, hat die Kantonsärzte und die Ärzteschaft schon mal angemahnt und hält sie auf dem Laufenden. Sie sagte: «Wir können von einer eigentlichen Vogelgrippe-Pandemie sprechen.»

Die Frage ist nur: Was passiert konkret, falls das Virus auf uns überspringen würde? Wie würden die Behörden dieses Mal handeln? Warten, beobachten und beruhigen war bei Covid-19 die Devise, als die ersten Meldungen aus Wuhan und Bergamo eintrafen. Das war nicht eben erfolgreich. Denn wir hatten mit über 13'000 Toten vergleichsweise deutlich mehr Todesfälle als etwa Deutschland. Generell hört man aber jetzt, dass es bei uns ja «gut gegangen sei». Schliesslich lobten alle Parteichefinnen und -chefs – mit Ausnahme von Grünen-Präsident Balthasar Glättli – das Bundesamt für Gesundheit (BAG) anlässlich einer «Arena»-Sendung von SRF. Diese Meinung teilen aber bei weitem nicht alle. Die Bevölkerung, die Gemeinden und die Kantone haben ein Anrecht und Interesse zu erfahren, welche Lehren das BAG aus den vergangenen drei Pandemie-Jahren gezogen hat und was bei einer neuen Pandemie konkret anders ablaufen würde.

Sorgfältige Aufarbeitung der Pandemie wäre wichtig

Es wäre enorm wichtig, die Covid-19-Pandemie sorgfältig aufzuarbeiten. Und zwar getrennt zuerst fachlich durch ein nationales Gremium von Virologen und Epidemiologen und anschliessend durch die Politik. Wer die offiziellen Mitteilungen des Bundes während der Pandemie verfolgt hat, dem oder der ist nicht entgangen, dass wichtige Schlüsselinformationen nicht rechtzeitig respektive gar nicht an die Bevölkerung weitergegeben wurden.

Dass Aerosole an der Übertragung beteiligt sind, dass Long Covid entstehen kann, dass Geimpfte auch Überträger sein können, dass FFP2-Masken besonders gut schützen – all das hat man mit grosser Verzögerung oder gar nicht bekannt gemacht. Die irreführende Maskenballade, die von höchster Stelle verbreitet worden ist, sollte auch aufgearbeitet werden. Eine seriöse fachliche Aufarbeitung unter Anleitung von Expertinnen und Experten wäre ein erster äusserst wichtiger Schritt. Wenn deren Bericht vorliegt, wären die Politik, konkret das BAG, die Gesundheitskommissionen der beiden Kammern und schliesslich der Bundesrat gefordert. Dies hätte vertrauensbildende Wirkung und wäre daher auch politisch sehr zu begrüssen.

Wer nicht vorsorgt, hat das Nachsehen

Die Auswirkungen der Pandemie gehen aber weiter. Neben den rund 6000 Long-Covid-Fällen sind da noch die signifikanten circa 15 Prozent Übersterblichkeit, die doch beunruhigend sind. Momentan macht es den Anschein, als fühle sich niemand dafür verantwortlich, sich um diese beiden gewichtigen Problemfelder zu kümmern. Das ist aber inakzeptabel. Um den Verdacht, dass die Impfungen schuld sind, aus dem Weg zu räumen, könnte untersucht werden, ob geimpfte Personen, die nicht an Covid erkrankt sind, auch von der Übersterblichkeit betroffen sind.

Die Abklärung all dieser und vieler weiterer Fragen braucht Personal und Expertise. Pandemien kommen sehr schnell und weiten sich sehr schnell aus. Geschwindigkeit und gute Vorbereitung sind daher entscheidend. Wichtig ist es, Klarheit zu schaffen – was wirklich wichtig ist. Drei Anliegen stehen im Vordergrund: Todesfälle und schwere Erkrankungen vermeiden, Gesundheitssystem nicht überbelasten und schwere Langzeitfolgen verhindern. Eine Institution oder Gruppe von Fachpersonen müsste damit beauftragt werden, sich permanent durch Datenaufarbeitung mit dieser Problematik zu befassen. Diese könnte hilfreich sein, sollte uns wieder eine Pandemie heimsuchen. Niemand will auf Panik machen, aber eine gute Vorbereitung ist essenziell. Nach Tschernobyl waren wir in einer eher guten Lage, denn wir hatten ein auf atomare Fragen spezialisiertes Institut, das AC-Zentrum in Spiez BE, und wir hatten AC-Spezialisten im Militär, die sofort Messungen in die Wege leiten konnten.

Warum ein Pandemiezentrum ein logischer Schritt wäre

Das BAG ist gerade wegen Pandemien und Epidemien vor über 130 Jahren «gegründet» worden. Deren Bewältigung ist somit historisch betrachtet eine zentrale Aufgabe dieses Amts, also die Verbindung der Fakten mit den politischen Entscheidungsprozessen herzustellen. Damals war schon klar, dass dies bei Pandemien nur national geschehen konnte. Auch haben wir erst kürzlich über das Epidemiengesetz abgestimmt, und die Bevölkerung hat es angenommen – wir haben also nicht diverse kantonale Gesetze. Folglich wäre ein Pandemiezentrum nur logisch, damit sich die spezifischen Fachleute mit einem Netzwerk (Schweiz und weltweit) auch direkt und schnell einbringen können. Das BAG könnte dadurch die Grundaufgabe bestens erfüllen, nämlich Fakten verfügbar zu haben, um Entscheide auf politischer Ebene vorzubereiten.

*Hans Rudolf Olpe ist emeritiertes Mitglied der Medizinischen Fakultät der Universität Basel, BertinoSomaini ist Arzt, Public Health Experte und ehemaliger Vizedirektor des BAG

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