ETH-Professorin über das Klimaseniorinnen-Urteil
Wir sollten stolz sein auf unsere Klimaseniorinnen

Im Nachgang zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte diskutiert ETH-Professorin Sonia I. Seneviratne die Frage, ob die Schweiz im Bereich Klimaschutz und Menschenrechte tatsächlich zu wenig macht – und sie lobt die mutige Aktion der Schweizerinnen.
Publiziert: 22.04.2024 um 16:57 Uhr
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Aktualisiert: 06.05.2024 um 14:41 Uhr
Am 9. April 2024 jubeln die Klimaseniorinnen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Foto: keystone-sda.ch
Sonia I. Seneviratne

Anfang April wurde ein historisches Urteil vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gefällt: Die Schweiz macht zu wenig beim Klimaschutz und verletzt deshalb Menschenrechte von älteren Frauen, den Klimaseniorinnen. 

Haben die Klimaseniorinnen wirklich recht, und ist das Urteil gegen die Schweiz berechtigt?

Ältere Frauen sind besonders von Hitzewellen betroffen und haben ein erhöhtes Risiko, daran zu sterben. Allein als Folge der Hitzewelle im Sommer 2022 in der Schweiz sind etwa 370 Personen wegen des durch Menschen verursachten Klimawandels gestorben, davon mehrheitlich ältere Frauen. Solche Sommer werden mit zunehmender globaler Erwärmung und zunehmenden CO₂-Emissionen immer wahrscheinlicher und intensiver. 

Hitzewellen haben nachweislich als Folge der durch uns Menschen verursachten CO₂-Emissionen weltweit und in der Schweiz zugenommen. Gäbe es weniger Emissionen, würden weniger Menschen und insbesondere weniger ältere Frauen davon bedroht. Leider wird zu wenig dagegen gemacht.

Der letzte Weltklimaratsbericht hat gezeigt, dass die globalen CO₂-Emissionen zu wenig schnell zurückgehen und dass es immer schwieriger wird, die Ziele des Pariser Abkommens von 2015, das die Schweiz auch unterzeichnet hat, zu erreichen. Es ist wissenschaftlich gut etabliert, wie stark Emissionen zurückgehen sollten, damit wir eine Chance haben, die globale Erwärmung auf ca. 1,5 °C zu begrenzen: Die CO₂-Emissionen sollten bis 2030 gegenüber 2010 etwa halbiert werden. 

Die Schweiz hat sich nicht die gesetzlichen und finanziellen Mittel gegeben, dieses Ziel zu erreichen, und hat sogar ihre früheren eigenen Emissionsziele verfehlt. Wir haben bedauerlicherweise noch kein CO₂-Gesetz, das kompatibel mit diesem Ziel für 2030 wäre.

Ausserdem konnte in der Schweiz der CO₂-Fussabdruck pro Person (der auch Konsum beinhaltet) im letzten Jahrzehnt nicht reduziert werden, während dies in vielen anderen Ländern gelang. Wie in einem Brief von 2021 zusammengefasst, der von mehr als 20 Klima-Forschenden unterzeichnet wurde, schneidet die Schweiz beim Verringern der CO₂-Emissionen schlechter ab als mehrere Nachbarstaaten und/oder Länder auf einem ähnlichen Entwicklungsstand (Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Kroatien, Niederlande, Österreich, Portugal, Rumänien, Schweden, Spanien, Ungarn, USA). Die Schweiz hat also bisher nicht ihren Teil der notwendigen Anstrengungen geleistet, um den Klimawandel innerhalb akzeptabler Grenzen zu stabilisieren. 

Das EGMR-Urteil wird weltweite Konsequenzen haben. Auch wenn das Urteil als Folge der Klage der Klimaseniorinnen vorerst die Schweiz betrifft, werden auch andere Länder jetzt sicherstellen müssen, dass sie ihre Klimaschutzziele verschärfen und erreichen, wenn sie die Menschenrechte nicht verletzen wollen. 

In diesem Sinn sollten wir stolz sein, dass ein wichtiger Schritt zu weltweit verschärftem Klimaschutz durch die mutige Aktion von Schweizerinnen – den Klimaseniorinnen – gemacht worden ist! 

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