Eine Frage des Klimas
Die Schweiz soll kein schwarzes Schaf sein

Im Juni stimmen wir über das neue Klimaschutzgesetz ab. Kolumnistin und ETH-Professorin Sonia l. Seneviratne plädiert für ein Ja und sagt uns wieso.
Publiziert: 29.05.2023 um 16:13 Uhr
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Aktualisiert: 21.07.2023 um 11:21 Uhr
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Am 18. Juni wird über das neue Klimaschutzgesetz abgestimmt.
Foto: keystone-sda.ch
Sonia I. Seneviratne

Das Klimagesetz, über das am 18. Juni abgestimmt wird, ist in aller Munde – und seine Gegner haben es für angebracht gehalten, eine Million Schweizer Franken in eine massive Desinformationskampagne zu investieren. Erinnern wir uns daran, dass dieses Gesetz von der Mehrheit der Schweizer Parteien unterstützt wird, von links als auch von rechts, von der FDP, den Grünen, der Mitte, den Grünliberalen und den Sozialisten, vom Schweizerischen Bauernverband und von mehr als 230 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Bereichen Klima, Energie, Technologie, Umwelt, Nachhaltigkeit und umweltbezogenen Politik-, Sozial- und Geisteswissenschaften sowie Ökonomie und Recht.

Es stellt sich die Frage: Was passiert, wenn die Schweiz Nein stimmt? Wäre das wirklich dramatisch? Die Antwort ist klar: Ja. Wenn die Schweiz am 18. Juni Nein stimmt, wäre sie eines der wenigen Industrieländer der Welt, das kein Gesetz hat, das ein Netto-Null-Ziel für Treibhausgasemissionen festlegt. Die Europäische Union sowie die meisten europäischen Länder, ob Frankreich, Deutschland, Österreich, Grossbritannien, Schweden oder Dänemark, haben ähnliche Gesetze wie jenes, das am 18. Juni dem Schweizer Volk zur Abstimmung vorgelegt wird. Ein solches gibt es unter anderem auch in Kanada, Australien und Japan. Und die USA haben ein neues Gesetz verabschiedet, das die wirtschaftliche Unterstützung der Entwicklung grüner Technologien fördert. Alle diese Länder sind der Schweiz voraus. Sie würde als schwarzes Schaf dastehen, wenn sie nicht über eine Gesetzgebung verfügen würde, mit der sie die Verpflichtungen einhalten kann, die sie durch die Ratifizierung des Pariser Abkommens eingegangen ist.

Sind all diese Länder ahnungslos? Wie konnten sie sich dazu verpflichten, in nur wenigen Jahrzehnten CO2-neutral zu werden? Wird dies exorbitante Kosten für ihre Wirtschaft bedeuten? Während die Nein-Kampagne irreführende Zahlen zu den angeblichen Kosten des Gesetzes angibt, zeigt ein Weissbuch der ETH Zürich deutlich, dass Szenarien für eine Energieversorgung ohne fossile Brennstoffe bis 2050 sowohl «technisch machbar und bezahlbar» sind. Viele Wissenschaftler erwarten, dass die Kostenbilanz positiv ausfallen wird. Eine Gesellschaft, die keine fossilen Energieträger mehr nutzt, wird auch weniger lokale Umweltverschmutzung haben, die zu hohen Gesundheitskosten führt.

Beobachtete (1900-2020) und prognostizierte (2021-2100) Veränderungen der globalen Oberflächentemperatur (im Vergleich zu 1850-1900), die mit Veränderungen der Klimabedingungen und -auswirkungen verbunden sind, veranschaulichen, wie sich das Klima bereits verändert hat und entlang der Lebensspanne von drei repräsentativen Generationen (geboren 1950, 1980 und 2020) verändern wird
Foto: IPCC

Ausserdem ist die Nutzung fossiler Energieträger, sei es Öl, Gas oder Kohle, alles andere als kostenlos! Jeder, der schon einmal unter den schwankenden Preisen für Benzin, Heizöl oder Gas gelitten hat, weiss das. Wenn wir weiterhin grösstenteils von fossilen Brennstoffen abhängig sein wollen, sind wir weiterhin autokratischen Ländern wie Russland oder den Golfstaaten ausgeliefert, die Druck auf unser Land ausüben können, indem sie die Öl- oder Gaspreise nach Belieben ändern. Ist es nicht besser, unsere eigene Energie mit Solar-, Wind- und Erdwärme zu erzeugen und mit den Nachbarländern zusammenzuarbeiten, die wie unser Land Demokratien sind? Ganz abgesehen davon, dass sich die Schweiz dank ihrer grossen Wasserkraftinfrastruktur in einer günstigen Position befindet. Es bieten sich dadurch Möglichkeiten zur Energiespeicherung, die zusätzliche Solar- und Windenergiequellen ergänzen können. Mit einem starken Ausbau der Solar- und Windenergie und der Abkehr von Infrastruktur, die von fossilen Energieträgern abhängig ist, könnte die Schweiz wieder mehr Kontrolle über ihre Energieversorgung erlangen. Bei fossilen Energieträgern wird das nie der Fall sein.

Globale Pfade für Treibhausgasemissionen in Übereinstimmung mit umgesetzten Politiken und Minderungsstrategien.
Foto: IPCC

Selbst ein Schweizer, dem es egal ist, dass die Gletscher schmelzen, dass ältere Leute während Hitzewellen sterben oder dass Bauernfamilien mit unberechenbareren und extremeren Wetterbedingungen kämpfen müssen, sollte mit Ja stimmen. Es geht um die Stellung der Schweiz in der Welt und ihren Ruf als rationale und zuverlässige Partnerin.

Vielfältige Möglichkeiten zur Verstärkung von Klimaschutzmassnahmen am Beispiel der Energieversorgung.
Foto: Zvg
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