Berner Platte – die Blick-Kolumne
Cool down!

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweiz gerügt: Sie mache nicht genügend fürs Klima. Aline Trede versteht dieses Urteil und ähnliche Beurteilungen – die Aufregung deswegen dagegen nicht.
Publiziert: 21.04.2024 um 16:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2024 um 16:02 Uhr
Aline Trede, Berner Grünen-Nationalrätin und Blick-Kolumnistin.
Foto: Keystone
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Die Richterinnen und Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) haben ein historisches Urteil gefällt. Die Untätigkeit eines Staates beim Klimaschutz gefährdet die Gesundheit seiner Bevölkerung. Das Nichtstun ist daher eine Verletzung der Grundrechte. Für die Schweiz, aber auch für alle Länder des Europarats, hat dieses Urteil eine vergleichbare Bedeutung wie das Pariser Klimaabkommen, das die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen soll. Und in der Schweiz gehen die Wogen hoch. Von einem «politischen Urteil» war seitens der bürgerlichen Seite die Rede, von «Einmischung in unsere Demokratie» etc.

Schauen wir genauer hin, ist es völlig klar: Der Gerichtshof hat unsere von der Bevölkerung angenommenen Klimaziele und die Massnahmen, um diese Ziele zu erreichen, untersucht und festgestellt; die Massnahmen reichen nicht aus, um unsere Klimaziele, wie beispielsweise Netto-Null 2050 zu erreichen.

Warum reagieren viele Politikerinnen und Politiker so emotional? Zum einen, weil sie wissen, dass wir nicht auf Kurs sind und doch etwas tun müssen, zum andern, weil es viel einfacher ist, jetzt den Schweizer Richter oder den Gerichtshof zu diffamieren und in einer Nebelpetardendiskussion über sie zu streiten, anstatt im Klimaschutz konkret vorwärtszumachen.

Schutz der Grundrechte ist die Basis der Demokratie

Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass die Schweiz vom EGMR verurteilt wird. Kürzlich gab der Gerichtshof einem Witwer recht, der gegen die Ungleichbehandlung der Geschlechter beim Erhalt der Witwerrente klagte. Der Bundesrat wird diese Diskriminierung aufheben und hat eine Gesetzesänderung in die Vernehmlassung geschickt. Auf schweizerischem, demokratischem Weg.

Auch die Schweizer Bevölkerung hat sich klar zum EGMR bekannt. Im Jahr 2018 bestätigte das Volk mit 66 Prozent den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zum EGMR. Das zeigt: Wir betrachten den Schutz der Grundrechte als einen unabdingbaren Wert der Demokratie und die Unabhängigkeit der Justiz als ein hohes Gut unseres Rechtsstaats.

Wir erreichen unsere Klimaziele, wie im Klimaschutzgesetz festgehalten, mit den aktuellen Massnahmen nicht, das ist wissenschaftlich erwiesen.

So, cool down! Emotionen, Ausdrücke gegen den Menschenrechtsgerichtshof und vor allem das Weltklima. Wir sollten unsere Energie auf diese grosse Aufgabe konzentrieren.

* Aline Trede ist Fraktionschefin der Grünen im Nationalrat und Umweltwissenschaftlerin. Sie schreibt jeden zweiten Sonntag für uns – im Turnus mit SVP-Nationalrat Alfred Heer. 

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