«Wir waren enttäuscht und wütend, als wir im April 2024 die Kündigung für unsere Wohnung erhalten haben», sagt Marcel Schlage (46). Schon länger habe es Hinweise gegeben, dass sich etwas tut und es Pläne für die älteren Mietshäuser gab. Trotz Nachfrage seien sie als Mieter nur ungenügend informiert worden, so der zweifache Familienvater. Jetzt ist klar: Das Mehrfamilienhaus in Niederweningen ZH, soll mit zwei weiteren älteren Mehrfamilienhäusern abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden.
Die Hiobsbotschaft traf Familie Schlage, sowie elf andere Mietparteien, die zum Teil seit Jahren in den günstigen Mietwohnungen einer lokalen Pensionskasse lebten. Darunter auch die Eltern von Marcel Schlage. Der 46-Jährige lebte insgesamt während 26 Jahren in der gleichen Wohnung im familienfreundlichen Quartier. Zuerst mit seinen Eltern, später 15 Jahre mit Ehefrau Angelika (49) und den beiden Kindern Jason (10) und Jenny (14). Die Eltern von Marcel Schlage verblieben im gleichen Quartier in einer der günstigen Wohnungen der Pensionskasse und unterstützen Angelika und Marcel Schlage, die beide arbeiten müssen, bei der Kinderbetreuung.
Unverständnis für den Abriss
Die Wohnungskündigung stellte sowohl Familie Schlage, mit den beiden schulpflichtigen Kindern, als auch das Rentnerpaar Schlage vor grosse Probleme. «Die Kinder wollten wir nicht aus ihrem gewohnten Umfeld reissen und freie bezahlbare Mietwohnungen für meine Familie und meine Eltern gibt es hier kaum», so Marcel Schlage. Beide Familien wären gern in den älteren Wohnungen geblieben und sehen nicht ein, warum die Häuser abgerissen werden sollen, zumal diese unlängst noch saniert worden sind. Wann der Abriss genau stattfinden und was, zu welchem Preis, wann, neu gebaut werden soll, blieb für Schlages unklar. Diese Ungewissheit setzte der Familie zu. «Ich lebe nicht gern auf einer tickenden Zeitbombe», sagt der Familienvater.
Tipp aus Dorfgesprächen
Ehefrau Angelika war es dann, die durch Gespräche im Dorf von einem leerstehenden Einfamilienhaus erfahren hat und die Hausbesitzerin, Sybille Hauser kontaktierte. «Die Anfrage kam genau zur richtigen Zeit. Ich war gerade daran, die Liegenschaft zur Zwischennutzung an «Projekt Interim» zu übergeben, und konnte so im Vertrag vereinbaren, dass Familie Schlage als Mieterschaft eingetragen wird», sagt Hauser, die ebenfalls in Niederweningen wohnt.
Sinnvolle Zwischennutzung mit individuellen Vereinbarungen
Seit November 2022 gehört Hauser das Einfamilienhaus, das an ihr Grundstück grenzt. Sie suchte vorübergehend Mieter mit lokalem Bezug, bis sie ihr Neubauprojekt realisieren kann. «Eine Liegenschaft in der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt leerstehend zu lassen, ist unsinnig. Das kostet nur und bringt viel Aufwand mit sich. Ich wollte lieber etwas Sinnvolles machen», sagt Hauser. Mit der Vermietung durch «Projekt Interim», einer grossen Vermittlungsfirma, die sich in mehreren Städten in der Schweiz, sowie in Deutschland und Österreich auf die Zwischennutzung von Wohnraum spezialisiert hat, muss sich Hauser um nichts mehr kümmern. Vom Mietvertrag bis zur Endreinigung und Übergabe an Familie Schlage, hat die Firma alles, was vertraglich zwischen der Hausbesitzerin und «Projekt Interim» vereinbart wurde, für die nächsten drei Jahre übernommen.
Anfang Juli ist Familie Schlage von ihrer Vierzimmerwohnung für monatlich 1’500 Franken in Hausers Sechzimmer-Einfamilienhaus, unweit ihrer langjährigen Mietwohnung gezogen. 2500 Franken inklusive Nebenkosten bezahlt die Familie monatlich für das Haus am Sonnenhang mit Wintergarten. Davon gehen rund 1000 Franken an Hausbesitzerin Hauser. «Für mich ist die Zwischennutzung eine grosse Entlastung. Ich muss mich um gar nichts mehr kümmern und kann mich in Ruhe um das neue Projekt kümmern», sagt Hauser.
Ruhe hat auch Familie Schlage, wenn auch nur befristet. «Wir sind aber sehr froh mit dieser Lösung. Für drei Jahre haben wir einen Mietvertrag und damit wieder Sicherheit», sagt Angelika Schlage. Unter Umständen, könnte der Mietvertrag auch verlängert werden. Auch Marcel Schlages Eltern haben mit Glück eine altersgerechte Eigentumswohnung in Niederweningen zur Miete gefunden - wenn auch einiges teurer als früher.
Enttäuschung der langjährigen Mieter
Enttäuscht sind Schlages aber von der ehemaligen Vermieterin: «Die alten Mietwohnungen können nicht nur besenrein übergeben werden, sondern müssen so gereinigt werden, dass sie jetzt doch noch vorübergehend wieder vermietet werden können, wie wir erfahren haben», sagt Marcel Schlage. So ist das berufstätige Ehepaar in nächster Zeit bis zur Wohnungsabgabe noch mit der gründlichen Wohnungsreinigung beschäftigt, bevor es das neue Zuhause mit Garten fertig einrichten und geniessen kann. Marcel Schlage meint verärgert: «Wir haben jahrelang immer pünktlich Miete bezahlt und wurden trotz frühzeitiger Nachfrage nie klar informiert. Der unfreiwillige Umzug ging für meine Eltern und meine Familie ganz schön ins Geld und hat uns neben unserer Arbeit viel Nerven und Zeit gekostet.»