«Als Kind erschien mir dieses unbewohnte Haus wie ein Schloss», erzählt Christian Pozzoni (47) im Gespräch mit Blick. Er habe dort mit Freunden und Geschwistern gern Verstecken gespielt. «Obwohl unsere Eltern es uns verboten haben», lacht er.
Seit sieben Jahren besitzt der Maschineningenieur gemeinsam mit seiner Ehefrau Sandra (45) das Haus in Avegno TI. Zusammen mit Verwandten und Freunden bauten sie das baufällige Haus mit grossem Aufwand zu einem typischen Tessiner Rustico mit modernem Innenausbau um.
Keller gesucht, Haus gefunden
Es war ein zufälliges Gespräch, das Pozzoni zu dem Hauskauf bewegte. «Eigentlich war ich nur auf der Suche nach einem Keller zum Lagern von Alpkäse, Wein, Schnaps und Würsten, die wir mit Familie und Freunden jedes Jahr zum Teil selber herstellen und lagern, als mich die Witwe des früheren Besitzers fragte, ob ich das Haus kaufen möchte.»
Das Gebäude wurde im 17. Jahrhundert errichtet und war mehr Ruine als Haus. Das steinerne Dach des Rusticos war weitgehend beschädigt. Das Gleiche galt für die von Stützen getragenen Balken, den Böden, dem bröckelnde Putz und den Decken, die unter der Last der Jahre nachgegeben haben.
Schlaflose Nächte bis zum Kauf
«Wir hatten einige schlaflose Nächte und lang überlegt, ob wir das Haus kaufen sollen», erzählt Sandra Pozzoni. Auch wenn der Kaufpreis weit unter 100’000 Franken lag, war es für das Ehepaar mit drei Kindern eine Investition, die gut überlegt werden musste. Ihnen war klar, dass die Renovation der verwahrlosten Liegenschaft hohe Kosten mit sich bringen würde.
Der Kauf war schlussendlich ein Herzentscheid der beiden Tessiner, verbunden mit Kindheitserinnerungen und dem Wunsch, ein historisches Haus im eigenen Dorf zu erhalten. Für den Umbau fehlten aber noch immer das Geld und eine konkrete Idee.
Unterstützung mit Auflagen von Stiftungen und Kanton
2015 las das Ehepaar in einem Artikel, dass verschiedene Stiftungen und der Kanton Gelder zur Erhaltung von Kulturgütern zur Verfügung stellen. «Dank der wertvollen Ratschläge dieser Stiftung haben wir das Projekt und den dazugehörigen Businessplan entwickelt», erzählt Sandra Pozzoni. Das Projekt wurde mit 160'000 Franken von Stiftungen und öffentlichen Einrichtungen unterstützt.
An die Gelder gekoppelt war unter anderem, dass die Nutzung der Immobilie die nächsten Jahre dem Tourismus gewidmet sein muss. «Für uns war diese Lösung ideal. Ohne dieses Geld und die Unterstützung hätten wir diesen Umbau nicht realisieren können», so Christian Pozzoni.
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Freizeit auf der Baustelle
«Mit der Zusage war der Weg vorgezeichnet und unsere Begeisterung gross. Wir begannen 2016 mit den Vorarbeiten», erklärt Sandra Pozzoni. Die nächsten Jahre war das Ehepaar am Abend nach der Arbeit und am Wochenende mit den Umbauarbeiten an ihrem Projekt beschäftigt.
Oftmals waren auch die drei Töchter Martina (14), Pamela (13), Clarissa (10), sowie Christians Mutter Laura Pozzoni (75) dabei und haben mit angepackt. «Besonders viel haben uns aber Freunde und Verwandte bei den Umbauarbeiten geholfen, damit wir Kosten sparen konnten und nur für die nötigsten Arbeiten Fachleute bezahlen mussten», so Christian Pozzoni.
Profis wurden vor allem für den gesamten Innenausbau von Küche und Bad, sowie für Fenster, Türen, sowie die Instandsetzung und Sanierung des Daches hinzugezogen.
Besondere Herausforderungen im alten Rauchhaus
Zuerst wurde der Keller saniert, dann das Erdgeschoss, das im ältesten Teil lag und das durch die Feuchtigkeit und Vernachlässigung von mehr als 300 Jahren unbewohnbar war.
Besonders mühsam sei die Absenkung der Böden gewesen, um die Feuchtigkeit zu entfernen, erzählt Christian Pozzoni. Auch schwierig waren das Anbringen der Dämmung, die Stabilisierung der Böden und Wände und die Durchbrüche von Wänden, um die Räumlichkeiten zu verbinden.
Im ganzen Haus lag zudem ein Rauchgestank, denn in der Vergangenheit gab es keinen Schornstein, sondern nur eine Feuerstelle zum Heizen und Kochen. «Diese archaischen Behausungen wurden darum von den Einwohnern «i C'a da füm» genannt, was soviel wie «Rauchhäuser» bedeutet», erklärt Sandra Pozzoni.
Fundstücke aus der Vergangenheit
Die Umbaukosten beliefen sich trotz viel Eigenleistungen auf über 300’000 Franken und 1378 gratis Arbeitsstunden, die das Ehepaar und seine Helfer in ihren Rustico-Umbau investiert haben.
Die letzten Aussenarbeiten konnten Pozzonis im Frühling 2020 fertigstellen, aber schon im Januar 2020 wurde die frisch renovierte «Ca Vegia di Rienda» was sich in etwa als «altes Haus am Bach» übersetzen lässt, erstmals an Feriengäste vermieten.
«Wir sind schon stolz darauf, was wir aus dieser Ruine gemacht haben und die Rückmeldungen der Feriengäste sind positiv», sagt Christian Pozzoni.
Dem Ehepaar war es wichtig, dass sie das Tessiner Rustico so authentisch als möglich erhalten konnten. Dafür wurden auch einige verborgene Fundstücke von anno dazumal, die sie bei den aufwändigen Umbauarbeiten entdeckt haben, wieder aufgefrischt. Sie befinden sich als Dekorationsstücke im renovierten Rustico.
Christian Pozzoni bedauert, dass vielen Tessinern die Sensibilität für solch historische Gebäude abhandengekommen ist und alte Häuser in den Tessiner Dörfern lieber abgerissen, statt renoviert und erhalten bleiben.
Vermietung für die nächsten Jahre
Noch mindestens 15 Jahre können Gäste jetzt das frisch renovierte typische Tessiner Rustico, das seinen alten Charme trotz des modernen Innenausbaus bewahrt hat, buchen.
Damit kommt auch wieder etwas Geld in die Familienkasse. Die freischaffende Grafikerin Sandra Pozzoni und ihre Schwiegermutter Laura, putzen das Haus mit dem Innenhof und dem grossen Garten jeweils und richten es wieder hübsch für die neuen Gäste her.
Später soll dann das Rustico an die Töchter der Familie übergehen. «Verkaufen ist kein Thema. Dafür haben wir viel zu viel Herz und Schmerz in dieses Haus gesteckt.»