«Mein Know-how verdanke ich der Schweiz», erzählt der diplomierte Landwirt Stephan Gähwiler (63) im Gespräch mit Blick. «Das Bildungsniveau und die Ausbildungsmöglichkeiten in der Schweiz sind besser als in Brasilien.»
Der Auswanderer hat seine Schulzeit in Hausen am Albis ZH absolviert, wo seine 92-jährige Mutter, die er regelmässig besucht, noch immer lebt. Nach seiner Ausbildung zum diplomierten Landwirt war er in der Schweiz auf verschiedenen Bauernhöfen tätig. «Einen eigenen Hof hatten wir leider nicht. Die Schweiz ist zu klein für viele Landwirtschaftsbetriebe. Meine beiden Grossväter waren aber Bauern, und wahrscheinlich habe ich von ihnen die Freude an der Landwirtschaft mitbekommen», erklärt Gähwiler.
Lieber freie Marktwirtschaft als Subventionen
Das Angebot, einen grossen Landwirtschaftsbetrieb von Schweizern und Deutschen in Brasilien zu führen, lockte den jungen Gähwiler 1982 nach Südamerika. «Geplant war ein Aufenthalt für drei Jahre. Geblieben bin ich zehn Jahre», erzählt der Schweizer.
Neben der Grösse des Landes und der landwirtschaftlichen Betriebe gefallen ihm die klimatischen Bedingungen in Brasilien. «Im Gegensatz zur Schweiz gibt es hier keine Subventionen für Bauern. Es herrscht freie Marktwirtschaft und mir ist das lieber», erklärt Gähwiler. Schon früh hatte der Schweiz Bauer die Idee, eigenen Käse in Brasilien zu produzieren. «Guter Käse fehlte. Es gab etwas Ähnliches wie Mozzarella, aber richtig guten Käse gab es nicht.»
Erster eigener Betrieb und Familie
Im Jahr 1992 erwarb Gähwiler ausserhalb von Corumba de Goias, etwas über hundert Kilometer westlich der Hauptstadt Brasilia, ein eigenes Grundstück mit 165 Hektaren Land. Dort baute er seinen eigenen Landwirtschaftsbetrieb mit einem Viehbestand von aktuell rund 200 Tieren auf. 1991 heiratete er seine brasilianische Freundin. Das Paar hat zwei Söhne und eine Tochter, die inzwischen erwachsen sind.
Auch wenn die Ehe nach knapp zehn Jahren geschieden wurde, hat Stephan Gähwiler bis heute engen Kontakt zu seinen drei Kindern. Der älteste Sohn Lucas (28) führte eine Zeit lang selbst die Käserei und verkauft an seinem jetzigen Wohnort in Goianias unter anderem den Käse des Vaters. Sohn Niklaus lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem eigenen Haus auf dem Grundstück und arbeitet im Betrieb des Vaters. Tochter Clara lebt im 45 Kilometer entfernten Pirenopolis, wo sie ein Restaurant führt und dort natürlich auch Papas beliebten Käse verkauft.
Viel Wissen durch Selbststudium
«Als ich mit meinem Betrieb anfing, merkte ich bald, dass ich ein eigenes Produkt aufbauen muss, um auf dem Markt erfolgreich zu sein», erklärt Gähwiler. Also tüftelte er an speziellem Käse. Bei Besuchen in der Schweiz und bei Käseproduzenten in Brasilien hat sich der Schweizer Kenntnisse als Käser angeeignet.
«Vieles habe ich auch im Selbststudium durch Lesen und Ausprobieren gelernt», so Gähwiler. Zuerst produzierte er eine Art Mutschli und wagte sich dann an grösseren Käse, der ideal für Raclette ist. Später produzierte er einen Weichkäse und eine Sorte, die an Sbrinz und Parmesan erinnert. Mit diesen Produkten konnte der Schweizer in Brasilien punkten.
Heute ist sein Käse in vielen Restaurants und Gourmetgeschäften in ganz Brasilien zu finden. Reisegruppen besuchen den Schweizer Käser auch oft und schauen ihm bei der Käseherstellung zu. Auch Politiker oder Diplomaten tischen bei Anlässen gern Gähwilers Käse auf. «Ich hatte auch das Glück, dass in verschiedenen Medien schon über meinen Käse und die Produktion berichtet wurde. Das hat mir enorm geholfen», freut er sich.
Verliebt in eine Schweizerin in Brasilien
Glück hatte der Schweizer aber nicht nur beruflich in seiner neuen Heimat, sondern auch in der Liebe. Seit 17 Jahren ist er mit Cornelia Casotti (63), einer Schweizerin aus Chur, liiert. Kennengelernt haben sich die beiden, als sie mit einer Gruppe Gähwilers Betrieb besuchte.
Die alleinerziehende Mutter von zwei erwachsenen Töchtern war über 21 Jahre für die Schweizer Botschaft in der Hauptstadt Brasilia tätig. «Lange Zeit blieben wir in freundschaftlichem Kontakt, bis es zwischen uns funkte», sagt Gähwiler fast etwas verlegen.
Seit Ende 2021 ist Cornelia Casotti pensioniert. Sie hat 1993 ausserhalb von Brazlandia, rund zwei Autofahrstunden von Gähwiler, ein Grundstück mit Wald gekauft und im letzten Jahr ein Haus mit Pool und grossem Garten gebaut. Hier erholt sich der Bauer und Käser, der täglich früh morgens seine 22 Milchkühe melkt und dann den ganzen Tag auf seinen Feldern und in der Käserei arbeitet. «Stephan ist ein Workaholic. Als Bauer und Käser fällt es ihm schwer, nichts zu tun. Er hilft mir auch bei meinem Haus und hat das ganze elektrisch gemacht», schwärmt Cornelia Casotti von ihrem Liebsten.
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Stolzer Ehrenbürger in der neuen Heimat
Gähwilers Haus auf dem Grundstück, das an den Rio Corumba grenzt, ist einfach. Gekocht wird auf dem Holzofen. Wenn Cornelia Casotti da ist, übernimmt sie meist das Kochen und kümmert sich um den Haushalt. Rösti, Raclette und Fondue gibt es beim Schweizer Paar natürlich häufig.
Vieles, was auf den Tisch kommt, stammt aus eigenem Anbau. Auch der Kaffee. Der Rest wird in Corumba eingekauft. Wenn es die Zeit zulässt, trifft sich der Landwirt mit Freunden auf einen Jass. Ob mit einheimischen Bauern, Geschäftsleuten oder Diplomaten, der Schweizer ist ein umgänglicher Typ und beliebt. «Ich verstehe mich mit allen gut und habe sogar die Ehrenbürgerschaft von Corumba erhalten», sagt er nicht ohne Stolz. Mit Stolz repräsentiert er in Brasilien an Anlässen oder auf seiner Fazenda bei Führungen auch die Schweiz, insbesondere als Schweizer Bauer und Käser und gibt sein Wissen gern weiter.
Begleitet und unterstützt wird er dabei oft von seiner Partnerin. «Sie kümmert sich um Bestellungen und Rechnungen und begleitet mich bei Anlässen oder bei der Auslieferung.» Auf den langen Fahrten haben Gähwiler und Casotti auch mal Zeit nur für sich. Bei aller Arbeit gönnt sich das Paar auch gelegentliche Restaurantbesuche und trifft sich mit den Kindern und Enkeln. «Das letzte Mal waren wir vor 14 Jahren zusammen am Strand. Wir beide sind lieber im Landesinneren unterwegs oder erkunden Südamerika ein wenig», sagt Cornelia Casotti.
«Vermisse nur das Skifahren»
Die nächste Reise wird Gähwiler aber wieder einmal in die Schweiz zu seiner Mutter und den Geschwistern führen. Eine vollständige Rückkehr in die Schweiz ist für Gähwiler aber nicht vorstellbar. «Das einzige, was ich manchmal vermisse, ist das Skifahren.»
Die Leidenschaft für seine Arbeit und sein Leben in seiner neuen Heimat ist dem Schweizer anzumerken. Auch wenn er nicht mit seiner Partnerin unter einem Dach lebt, sind beide zufrieden, wie es ist und wollen ihren Wohnsitz momentan nicht aufgeben. «Vielleicht ziehe ich später zu ihr, wenn es mich bei der Arbeit auf der Fazenda nicht mehr braucht und Niklaus den Betrieb alleine führt», so Gäwihler.