Hier trifft sich Esther Bühlmann mit den Mädchen
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Kampf gegen Kinderprostitution:Hier trifft sich Esther Bühlmann mit den Mädchen

Esther Bühlmann verbringt in ihrer neuen Heimat mehr Zeit auf dem Strassenstrich als am Strand
«Ich bin ein Störfaktor, und das ist gut so»

Esther Bühlmann (43) aus Bern hat auf den Philippinen eine neue Heimat gefunden. An den traumhaften Stränden ist sie selten anzutreffen, dafür auf dem Strassenstrich. Die Schweizerin ist der Alptraum von Freiern und Helferin für Mädchen in der Kinderprostitution.
Publiziert: 06.08.2023 um 10:28 Uhr
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Aktualisiert: 10.11.2023 um 17:24 Uhr
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Esther Bühlmann war 2016 erstmals als Praktikantin auf den Philippinen. Hier bei einem Ausflug 2016 zum Tinago-Wasserfall in der Nähe von Iligan City auf der Insel Mindanao.
Foto: zVg
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Corine Turrini FluryRedaktorin Wohnen

Aufgewachsen ist Esther Bühlmann (43) in Bern und sie hat ein Studium in sozialer Arbeit absolviert. Ihr Beruf als Sozialarbeiterin war auch der Grund, warum sie 2016 als Praktikantin für eine Foundation auf die Philippinen reiste. Bald wurde sie Assistentin des Schweizer Gründers Thom Kellenberger. Mit ihm wurde sie auch in der Strassenarbeit für armutsbetroffene Kinder aktiv. 2017 kündigte sie ihre Wohnung in der Schweiz und lebte auf den Philippinen. «Ich merkte schnell, dass ich auf den Philippinen viel mehr bewirken kann», sagt sie.

Kleine Wohnung mit Aussicht in Mittelschichtquartier

Während der Pandemie reiste sie nochmals zu ihrer Familie in der Schweiz und gründete im Mai 2022 ihr eigenes Hilfswerk mit Schwerpunkt in der Kinderprostitution auf Mindanao, das von Spendengeldern finanziert wird. Seit September 2022 wohnt sie in einer eigenen kleinen Wohnung mit Balkon in einem Quartier der Mittelschicht in der Stadt Cagayan de Oro auf der Insel Mindanao. Erstmals hat sie auf den Philippinen eine eigene Wohnung. Etwa 140 Franken kostet die monatliche Miete, plus rund 70 Franken für Wasser und Strom.

«Das Leben hier ist sehr billig. Ich hatte schon Wohnungen für 20 Franken. Entsprechend sah das aber aus», sagt sie schmunzelnd. Dagegen ist ihre jetzige Wohnung fast feudal, selbst wenn die Dusche nicht funktioniert und sie nur eine Zweiplatten-Kochstelle auf dem Esstisch ihrer Einzimmerwohnung zur Verfügung hat. «Meistens esse ich sowieso mit Freundinnen auswärts. Das kostet fast nichts.» Früchte oder Gemüse, sowie anderes kauft sie meist auf dem Heimweg nach der Arbeit an einem der zahlreichen kleinen Stände an der Strasse.

Mit Maske auf der Jagd nach Freiern

Die Strasse ist sowieso fast das Zuhause der Sozialarbeiterin. Hier sucht sie Strassenkinder auf, versucht die minderjährigen Mädchen, die sich prostituieren, aus dem Elend zu bringen, und meldet Freier und Hotelbetreiber, die sie filmt und fotografiert, der Polizei. «Ich bin ein Störfaktor für Freier und das ist gut so», sagt Bühlmann. Kein ungefährliches Unterfangen, denn bei einer Verurteilung drohen den Freiern harte Strafen. Vorwiegend seien die Freier auf Mindanao im Gegensatz zu anderen Orten auf den Philippinen Einheimische, eher selten Sextouristen, weiss sie.

«Bei der Arbeit trage ich zu meinem Schutz eine Maske und bin mit meinem Roller unterwegs. Wenn es brenzlich wird, bin ich schnell weg», sagt Bühlmann unerschrocken. Zudem habe sie in den vergangenen Jahren ein gutes Netzwerk mit Verantwortlichen der Stadt und der Polizei aufgebaut und könne dort mit Unterstützung rechnen. «Auch die armutsbetroffene Bevölkerung in den Slums weiss inzwischen, was ich für sie mache, und nimmt mich in Schutz, wenn mir jemand blöd kommt», so die Schweizerin.

Ausbildung statt Todesgefahr auf dem Strich

Auch wenn es bitter klingt, weiss Bühlmann, dass sie nicht die Welt retten kann und viele Mädchen immer wieder aus Institutionen abhauen und erneut anschaffen, weil sie ohne Perspektive sind und viele ihrer Kolleginnen auch auf dem Strassenstrich ihr Geld zum Überleben verdienen. Einige kann Bühlmann motivieren, die Schule ihres Schweizer Kollegen zu besuchen oder eine Ausbildung zu absolvieren, was nachhaltig die Zukunft der Kinder verbessern kann. «Wenn das nicht geht, versuche ich ihnen wenigstens Schutz zu bieten, verteile Kondome, oder begleite sie zu Ärzten oder Polizei, wenn sie misshandelt oder vergewaltigt wurden. Im Notfall bringe ich sie auch mal gegen ihren Willen in einer Institution unter», sagt Bühlmann.

Welche Traumata die sexuell ausgebeuteten Mädchen verarbeiten müssten, seien sich die Kinder nicht bewusst und auch nicht, dass der Strassenstrich tödlich enden kann, weiss die Sozialarbeiterin. So erzählt sie von Cristine, die mit 15 Jahren von einem Freier mit einem Stein fast erschlagen und bewusstlos ins Meer geworfen wurde. Glücklicherweise wurde sie rechtzeitig gefunden und gerettet. «Heute geht es ihr gut. Sie schliesst die Schule ab und will Sozialarbeiterin werden. Cristine ist meine erste ‹Mitarbeiterin› und wird bezahlt. Sie begleitet mich manchmal auf der Strasse und erzählt den Mädchen ihre Geschichte. Damit kann sie viel bewirken.»

Auftanken und abschalten am Strand

Solche Erfolgsgeschichten sind kleine Aufsteller der Schweizerin im täglichen Elend, die sie in ihrem mühsamen und nicht ungefährlichen Kampf in der neuen Heimat antreiben. Bühlmann denkt nicht an eine Rückkehr in die Schweiz. Sie mag die zugänglichen Menschen, schwärmt vom Urwald, nahen Wasserfällen und von traumhaften Sandstränden. «Es fällt hier leicht, Freundschaften zu schliessen, zumal ich auch ihre Sprache spreche. Mit Freunden bin ich oft zum Essen verabredet oder fahre mit meinem Roller zu einem nahen Strand, um abzuschalten und auf andere Gedanke zu kommen», so die Singlefrau.

Gespräche mit anderen Sozialarbeitern helfen ihr, mit den belastenden Schicksalen und schwierigen Umständen ihrer Schützlinge klarzukommen. «Es fällt mir nicht leicht, mich auch mal abzugrenzen und mir Zeit für mich zu nehmen. Wenn mir alles zu viel wird, ziehe ich mich ein oder zwei Tage in meiner Wohnung zurück. Ich bin meine eigene Chefin und kann mir das erlauben, wenn nötig», sagt sie. Normalerweise arbeitet sie aber täglich und ist manchmal die ganze Nacht auf der Strasse anzutreffen. Einen Lohn bezahlt sie sich nicht. «Mein Hilfswerk ist noch jung und sämtliche Spendengelder werden für die Arbeit benötigt.»

Besuche in der Schweiz mit schlechtem Gewissen

Ihren Lebensunterhalt finanziert Bühlmann mit der Vermietung einer Liegenschaft in der Schweiz, die sie durch einen Erbvorbezug teilweise besitzt. «Für mein Leben hier reicht es. In der Schweiz könnte ich damit nicht leben», so Bühlmann. Zweimal im Jahr reist sie in ihre alte Heimat, besucht Familie und Freunde und bemüht sich um weitere Spenden. Nicht ganz ohne schlechtes Gewissen verlässt sie ihre Schützlinge jeweils. «Ich hoffe, dass ich mir bald eine Stellvertreterin leisten kann, damit bei meiner Abwesenheit und zur Unterstützung eine zusätzliche Ansprechperson für die Kinder in Cagayan de Oro im Einsatz ist.»

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Als Nächstes möchte die Bernerin mit Spenden einen älteren Camper anschaffen. Nicht zum Reisen oder Leben, sondern für die Mädchen und ihre Arbeit im Kampf gegen Kinderprostitution. «Damit die Strassenkinder sich an einem sicheren Ort ausruhen können, schlafen und zwischendurch ein Dach über dem Kopf haben, sich waschen und wenn nötig medizinisch versorgt werden können», erklärt Bühlmann.

Sie selber will sich demnächst am Thunersee im Ferienhaus ihrer Familie etwas erholen. Bühlmann freut sich auf die Schweiz und ihre Familie. Ganz besonders auf ihre Nichte und den Neffen. Eigene Kinder hat Bühlmann nicht, aber zwei Patenkinder in Mindanao. Lachend sagt sie: «Bei aller Liebe für Kinder – etwas Schlaf und Zeit nur für mich brauche auch ich. So egoistisch bin ich dann doch. Ich liebe ‹meine› Strassenkinder und sorge für sie. Damit bin ich ausgelastet.»

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