Blick-Redaktorin erzählt aus ihrem Arbeitsalltag
So entstehen Wohngeschichten für Blick

Es ist nicht immer einfach, dass Menschen Einblicke in ihr privates Reich gewähren. Umso schöner, wenn es gelingt und sich die Leserschaft und die Protagonisten an den Geschichten freuen. Redaktorin Corine Turrini Flury erzählt, wie ihre Wohn-Storys zustande kommen.
Publiziert: 14.01.2024 um 12:02 Uhr
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Blick war zu Besuch bei Liva Tresch im Altersheim. Die 90-Jährige hatte einige Vorbehalte gegenüber Blick und freute sich nach der Veröffentlichung, dass sie sich darauf eingelassen hat.
Foto: CTF
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Corine Turrini FluryRedaktorin Wohnen

Seit über fünf Jahren bin ich bei Blick für Geschichten rund ums Thema Wohnen und Bauen zuständig. Dazu zählen neben losgelösten Geschichten und Umbau-Storys die Wohnserie «So wohnt die Schweiz» und die Geschichten über Auswanderer.

Sehr zeitintensiv sind vor allem die Auswanderer-Geschichten. «Sie können jederzeit vorbeikommen», schreiben mir die Auswanderer häufig. «Schön wärs», antworte ich dann meistens. Vor allem, wenn ich die traumhaften Bilder von Thailand, Argentinien, Frankreich oder wo sie alle leben, sehe.

Technische Schwierigkeiten und Zeitverschiebung

Leider haben wir nicht die Ressourcen und Kapazität, Protagonisten auf der ganzen Welt zu besuchen, um über ihr Leben in der neuen Heimat zu berichten. Wir sind bei diesen Geschichten auf Unterstützung der Auswanderer angewiesen, mit Bildern und Angaben sowie wenn möglich mit Videomaterial. Darum vergeht oft viel Zeit, bis die Storys zur Veröffentlichung bereit sind. Hinzu kommt die Zeitverschiebung. Meine Arbeitszeit dauert nicht selten bis tief in die Nacht.

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«Er weinte fast vor Freude, weil ihn alte Schulkollegen kontaktierten, von denen er jahrelang nichts mehr gehört hatte.»
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Ziemlich ins Schwitzen kam ich unter anderem vor einigen Jahren bei der Geschichte über einen Schweizer Rentner, der seit Jahren in Kanada lebt. Alles war besprochen, der Text geschrieben, die Geschichte eingeplant. Noch fehlten mir aber die Fotos. Als ich bei ihm nachfragte, schrieb er mir frustriert, dass er jetzt nicht mehr mitmachen will, weil er das mit dem Senden der Fotos trotz Anleitung nicht hinbekommt. Also habe ich ihm in Ruhe alles nochmals erklärt, bis es geklappt hat.

Als die Geschichte dann auf Blick erschienen ist, hat er mich angerufen und sich ganz herzlich bedankt. Er weinte fast vor Freude, dass ihn aufgrund des Artikels alte Schulkollegen aus der Schweiz kontaktiert hätten, von denen er jahrelang nichts mehr gehört hatte. Das sind auch für mich schöne Momente, in denen sich der Aufwand besonders gelohnt hat. Mit einigen ehemaligen Protagonisten bin ich über Jahre in Kontakt geblieben.

Aufwand ohne Ertrag

Auch wenn sich Leserinnen und Leser mit ihrer Geschichte bei uns melden, kann es sein, dass sie trotzdem nie publiziert werden kann. So auch bei unserer Wohnserie «So wohnt die Schweiz». Eine Frau meldete sich und schrieb, dass sie ihre Wohnung gekündigt hat, weil sie als Rentnerin Angst hat, dass sie die steigende Miete nicht mehr bezahlen kann. Seither lebt sie in einem alten Wohnwagen.

Das weckte mein Interesse, und ich rief sie an. Ganz überrascht, dass sich überhaupt jemand bei ihr meldete, erzählte sie mir ihre Geschichte über ein arbeitsreiches Leben im Gastgewerbe, als Alleinerziehende mit Existenzängsten. Dass sie den Winter im nahen Ausland campiere, wo es günstiger sei und nur noch im Sommer in der Schweiz auf einem Campingplatz wohne.

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«Ich frage mich manchmal, wie es ihr inzwischen geht.»
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Als ich ihr sagte, dass ich ihre Geschichte im Blick gern erzählen würde, meinte sie, dass sie doch lieber nicht möchte. Sie habe in einer «schlechten Phase» an Blick geschrieben und möchte lieber nicht, dass sie jemand erkenne. Es gehe ihr jetzt wieder etwas besser, meinte sie.

Auch wenn ich ihr Anonymität und Bedenkzeit zugesichert habe, traute sie sich nicht. Das habe ich respektiert, auch wenn ich diese Geschichte gern erzählt hätte. Ich bin nämlich sicher, die Rentnerin ist mit ihren Existenzängsten kein Einzelfall in der reichen Schweiz und ich frage mich manchmal, wie es ihr inzwischen geht.

Wenn das Wetter nicht will

Zwei meiner Lieblingsgeschichten aus dem letzten Jahr sind ebenfalls aus der Schweiz. Auch sie haben etwas mehr Zeit und Geduld gebraucht – aus unterschiedlichen Gründen.

Den Bergler Hans-Andrea Ratz, der in der Abgeschiedenheit in den Bündner Bergen lebt, entdeckte ich in einem TV-Beitrag über Nachhaltigkeit. Er sagte mir nach unserem Erstkontakt Ende Februar 2023 direkt zu. Zeit für ein Telefongespräch hatte der Einsiedler reichlich und nahm sie sich auch gern. Ausführlich erzählte er mir, wie es ihn in die abgeschiedene Hütte verschlagen hat.

Geschrieben war die Geschichte schnell. Bis wir sie aber publizieren konnten, sollte es noch bis im Juni dauern. Später Schneefall im Frühling 2023 verzögerte den Fototermin mehrfach, denn in den Wintermonaten kommt man nicht zur Jagdhütte des Einsiedlers oberhalb von Schiers GR.

Das Wetter interessiert sich nicht für die Blick-Planung, aber die Geduld bis zur Publikation hat sich gelohnt. Die Geschichte aus der Bergwelt wurde von der Leserschaft gern gelesen, und auch der Einsiedler erhielt viel Feedback. «Das war sensationell. Unglaublich, wie oft ich auf diese Blick-Geschichte angesprochen wurde», freut sich Ratz in den jetzt wieder stark verschneiten Bergen noch immer.

Die kritische Seniorin im Altersheim

Etwas mehr Zeit brauchte auch die Wohngeschichte aus einem Altersheim. Die Idee hatte ich schon länger. Es fehlte noch eine passende Person.

Es sollte jemand sein, der oder die sich wohlfühlt im Altersheim und glücklich im neuen Zuhause ist. Noch immer ist die Vorstellung, aus den eigenen vier Wänden in ein Altersheim zu ziehen, für viele ältere Personen ein Schreckgespenst.

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«Und für welche Zeitung schreiben Sie nochmal?»
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Auch die Seniorin Liva Tresch war lange skeptisch. Skeptisch war sie auch, als ich mich bei ihr erstmals telefonisch gemeldet habe, nachdem ein Kontakt mir mitgeteilt hat, dass Tresch bereit wäre, mir ihre Geschichte zu erzählen. Dazu erhielt ich von der Kontaktfrau auch den Hinweis, dass die Frau sehr direkt und etwas «hemdsärmlig» sei.

«Und für welche Zeitung schreiben Sie nochmals?», wollte Tresch wissen, als ich mit ihr telefonierte. Als sie «Blick» hörte, war sie wenig begeistert. Bei meinem Besuch im Altersheim bestimmte die 90-Jährige den Takt. Sie hat den ganzen Ablauf schon vorgeplant. Vom gemeinsamen Mittagessen, Spaziergang im Park, bis hin zum Besuch der Kapelle im Haus. Ich habe mir extra viel Zeit genommen, weil Tresch nicht mehr gut zu Fuss ist. Ein «altes Haus» sei sie, sagt sie über sich, erzählt aber munter und offen über ihr bewegtes Leben und ihre Wohnsituation bis ich sie müde zurück in ihr Zimmer begleite. Sie war nicht die Einzige, die müde war nach dem Rundgang und dem ausführlichen Gespräch – und ich bin doch noch ein paar Jährchen jünger als die 90-Jährige mit ihrem Rollator.

Nach Skepsis herrscht Freude

Bis ich die ganzen Eindrücke und Ausführungen sortiert und geschrieben habe, dauerte es etwas. Zumal ich inzwischen wusste, wie kritisch Tresch gegenüber Blick ist. Das «Du» hat sie mir aber immerhin beim Besuch nach kurzer Zeit angeboten und wir verstanden uns gut. Dennoch war ich auf alles gefasst, als ihre Reaktion auf den Text anstand.

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«Es fühlte sich fast wie in Ritterschlag an.»
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«Das hast du sehr emphatisch und gut geschrieben», sagte sie dann allerdings. Ich gebe zu, meine Erleichterung war gross. Vor allem, weil sie vorher keine Blick-Leserin war und ich sie überzeugen konnte, dass wir unsere Arbeit gewissenhaft und seriös tätigen. Es fühlte sich fast wie in Ritterschlag an und es freut mich, dass Liva Tresch auch im Nachhinein zu mir gesagt hat: «Man muss halt im Leben immer offen bleiben, sich auch mal von vorgefertigten Meinungen verabschieden und vom Gegenteil überzeugen lassen.» Ein wahres Wort aus weisem Munde, finde ich.

In diesem Sinn freue ich mich auch im neuen Jahr wieder auf Begegnungen und Bekanntschaften mit neuen Protagonisten, die mir für Blick die Tür zu ihrem Zuhause und auch ein Stück in ihr Leben öffnen.

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