Durch einen Kollegen erfuhr Alexander Rys (57) von einem uralten Haus mit Innenhof, das in Lichtensteig SG zum Verkauf stand. Das Städtchen mit den mittelalterlichen Gebäuden in der Altstadt war dem Zürcher bereits bekannt. Lichtensteig wurde 2023 mit dem Wakkerpreis, ein Preis des Schweizer Heimatschutzes für Orte mit beispielhaftem Ortsbildschutz, ausgezeichnet. Rys war bereits mehrfach im Ort und kannte einige der historischen Gebäude.
Das heruntergekommene, leerstehende Verkaufsobjekt am Schabeggweg, das seinen Ursprung 1560 hat und seither immer wieder erweitert, umgebaut und umgenutzt wurde, war Rys aber noch nicht bekannt. «Als ich das Haus sah, wusste ich aber sofort, dass das mein Haus ist, das ich schon in einem Traum viele Jahre zuvor sah. Das war wie eine Vision», so der gelernte Dekorationsgestalter Alexander Rys. Für rund 170’000 Franken kaufte Rys dank eines zinslosen Darlehens seines Vaters die Liegenschaft im Dezember 2006.
Wohnen ohne Plan und Komfort, aber mit Menschlichkeit
Im Januar 2007 ist der Zürcher ins Toggenburg gezogen und lebt seither in seinem 21-Zimmer-Haus. «Ich bin innert einer Woche allein und ohne Plan eingezogen. Ich habe nur gerade das Nötigste renoviert und im ersten Jahr den Innenbereich wohnlich dekoriert und gestaltet», sagt der kreative Lebenskünstler Rys, der vormals als Einsiedler auch schon auf dem Uetliberg in Zürich lebte und zeitweise auch im Ausland.
Rys schrieb darauf für sich erst einmal ein Grundkonzept mit der Idee für ein offenes Haus. «In meinem Haus wollte ich einen Ort der Menschlichkeit schaffen. Das war meine Vision», erklärt Rys. Seine Idee des unkomplizierten Zusammenlebens im alten Haus fand Anklang. Während sechs Jahren lebten in wechselnder Zusammensetzung Gleichgesinnte in seinem Haus und haben Rys teilweise bei den Umbauarbeiten unterstützt. «Das war eine bereichernde und tolle Zeit. Wir waren eine grosse WG und hatten diverse Events», sagt Rys.
Skepsis im Städtchen
Im Erdgeschoss, wo einst die Gaststube des Restaurants Traube war, entstand ein Raum für Begegnungen und Veranstaltungen. Aus der ehemaligen Traube machte Rys sein «Haus zur Laterne».
Von aussen waren jahrelang keine Erneuerungen sichtbar. Der ehemalige Stadtpräsident sowie ein Teil der Bevölkerung störten sich daran. «Ich musste einen Bauplan vorlegen mit Datum für den Baubeginn», erklärt Rys, der mehrheitlich selber an den Renovations- und Umbauarbeiten tätig war. Arbeiten, die der vielseitige Selfmade-Handwerker nicht selber ausführen konnte, liess er von regionalen Handwerkern ausführen.
Schweres Gerät und mühevolle Handarbeit
Mit dem Start der Umbauarbeiten wurde auch die WG im Gebäude, das sich auf sieben versetzte Ebenen verteilt, aufgelöst. 2012 wurde das Dach komplett erneuert. 2013 wurde dann auch die Fassade des Fachwerkhauses in Angriff genommen. Damit war auch von aussen sichtbar, dass die Renovationen am Laufen sind. Was im Innern vor sich ging, blieb der Öffentlichkeit vorerst verborgen. Von 2020 bis 2023 war dann eine besonders intensive Bauphase im Innenausbau.
Die ursprüngliche Bausubstanz mit alten Mauern und Balken wurde von Rys mit erfahrenen Arbeitern wieder freigelegt. Vieles konnte in mühevoller Handarbeit wieder aufgefrischt werden, aber auch schweres Gerät und Bagger kamen zum Einsatz. «Die Statik des Hauses war sehr bedenklich und wir mussten schon vorher zum Teil Decken mit Stahlträgern stützen und morsche Balken und Böden ersetzen», erklärt Rys.
Die Gaststube im Erdgeschoss der ehemaligen Traube wurde innert drei Jahre zum offenen Wohnzimmer mit einer kleinen unterteilten Stube, versehen mit neuen Tannenholzböden aus der Region und einer neuen offenen Küche. Der Sockel und die Bar wurden mit Steinen aus alten Mauern oder Böden mit historischen Mörtelmischungen neu aufgebaut. In Rys' Wohnzimmer und seiner Küche ist jeder für Speis und Trank willkommen. «Ich bin aber kein Restaurant. Wenn ich da bin, ist offen, und wer mit mir essen will, was ich gekocht habe, kann das gern tun», stellt Rys klar. Eine Preisliste hat er nicht, dafür ein Kässeli, wo bezahlt wird, so viel man möchte.
Hohe Umbaukosten für Herzensprojekt
Die oberen Bereiche des Hauses sind vorläufig noch privat. Dort wohnt der Hausbesitzer mit seinen beiden Hunden. Der grösste Teil ist auch noch immer Baustelle oder wird als Lager und Magazin von Rys und den Handwerkern genutzt. Es gibt noch viel zu tun, bis er irgendwann vielleicht ein kleines Bed and Breakfast eröffnen kann. Stress hat er damit nicht – und zudem hat er auch nicht die finanziellen Möglichkeiten für einen Gesamtumbau. «Dieses Haus ist kein Investment oder Renditeobjekt. Darum stand es lange leer und fand keinen Käufer», sagt der Bauherr.
Für ihn ist es sein Zuhause und ein Herzensprojekt, wo er seine unkonventionelle Lebensart leben und teilen kann. Bis jetzt hat er gegen 1,8 Millionen Franken in sein Haus investiert, finanziert von seinem inzwischen verstorbenen Vater. Das jährliche Budget für die Bauarbeiten beträgt etwa 50’000 Franken. Eingerechnet ist dabei auch Rys' Lohn für seine Arbeit. Zeitweise verdient der kreative Allrounder neben seiner eigenen Bautätigkeit etwas Geld mit Illustrationen, Zügel- oder Gartenarbeiten. Das reicht ihm für sein bescheidenes Leben mit seinen beiden Hunden. «Einen Brotjob im herkömmlichen Sinn habe ich nicht», sagt er lachend.
Positive Reaktionen bei der Besichtigung
Rechtzeitig zu den Festlichkeiten rund um den Wakkerpreis, mit dem Lichtensteig für seine historischen Gebäude und die Altstadtbelebung im Sommer 2023 ausgezeichnet wurde, konnte auch Rys sein «offenes Haus» der Öffentlichkeit präsentieren.
Mit dem neuen Stadtpräsidenten versteht sich Rys gut. Inzwischen ist Rys sogar Bürger von Lichtensteig und fühlt sich längst heimisch im schmucken Toggenburger Städtchen. Ein bisschen Stolz ist Rys anzumerken, wenn er zu seinem Hausumbau sagt: «Die Reaktionen der Besucher waren sehr positiv. Das hat mich schon gefreut.» Auf die Fortsetzung seines ungewöhnlichen Umbauprojekts darf man gespannt sein.